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Ein Versprechen mit Wertverlust

Von Simon Rosner

Politik

Die Bezugshistorie einer hohen ASVG-Pension offenbart einen Kaufkraftverlust von 20 Prozent.


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Wien. Meistens ist es ja der Blick in die Zukunft, der das Irreale offenbart, wie etwa fliegende Autos, um nur ein Beispiel zu nennen. Doch manchmal ist es auch der Blick in die Vergangenheit, der einen stutzig aus der Wäsche schauen lässt. Zum Beispiel der Blick zurück ins Jahr 1976, genauer: auf die Pensionserhöhung dieses Jahres: 11,5 Prozent.

Heute erscheinen derartige Anpassungen geradezu unglaublich. Aber klar: Das war eine andere Zeit mit unwiederbringlichen Wachstumsraten der heimischen Wirtschaft und entsprechenden Lohnabschlüssen, an denen sich auch viele Jahrzehnte die Pensionserhöhungen orientierten. Dennoch fielen diese aus budgetären Gründen immer wieder einmal niedriger aus, seit 2004 wird der Verbraucherpreisindex (VPI) bei den Anpassungen herangezogen.

Damals, in den 70er Jahren, war auch die Lebenserwartung eine gänzlich andere. Die Pension war tatsächlich der Lebensabend, seither aber haben sich die Dauer der Erwerbstätigkeit und jene des Ruhegenusses merklich angenähert. Was nun passiert, wenn einerseits geringere Erhöhungen und andererseits eine lange Bezugsdauer aufeinandertreffen, offenbart eine Erwerbsbiografie eines Pensionisten, die der "Wiener Zeitung" zur Gänze vorliegt.

Es ist eine hohe ASVG-Pension, die im Jahr 1992 netto 18.532 Schilling (oder 1347 Euro) betragen hat. Wäre dieser Betrag stets ohne Verlust an Kaufkraft mit dem Verbraucherpreisindex erhöht worden, müsste dieser Pensionist heute 2074 Euro verdienen. Doch er erhält monatlich nur 1720 Euro. Das ist immer noch eine sehr gute Pension, weit über dem Median von gegenwärtig knapp über 1000 Euro. Doch der Verlust an Kaufkraft seit 1992 liegt dennoch bei 354 Euro oder etwas mehr als 20 Prozent.

Stabilisierung des Systems in Phasen

"Dieses Ausmaß überrascht mich", sagt Thomas Url vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Und Ulrich Schuh, Pensionsexperte und Leiter des Instituts EcoAustria, gibt sich nicht minder verwundert: "Das ist ein gewaltiger Betrag." Zwar war beiden Experten klar, dass Pensionen im Laufe der Zeit an Kaufkraft verloren haben, zumal es etwa 1997 überhaupt eine Nulllohnrunde gab, sie hatten aber beide nicht mit dieser Größenordnung gerechnet.

Auch wenn es sich hier nur um ein Einzelbeispiel handelt, lassen sich die Entwicklungen im Pensionssystem sehr gut herauslesen. Ja, sogar die Termine für Nationalratswahlen sind zu deuten, da nur mit Ausnahme von 2002 und 2013 Zuckerl für Pensionisten nie ausblieben, entweder über die jährliche Anpassung oder eine Senkung der Lohnsteuer.

In der ersten Hälfte der 90er Jahre fielen die Erhöhungen noch recht deutlich aus (2,8 bis 5 Prozent), brutto gab es sogar einen Kaufkraftgewinn, und zwar noch für alle Pensionen. Allerdings fraßen diesen Gewinn schon damals die Abgaben auf, der Realeinkommensverlust war aber noch gering. In der zweiten Hälfte der
90er Jahre stieg dann der Druck auf das Pensionssystem merkbar, zudem gab es eine Umstellung des Systems in Richtung "ASVG für alle", wie Andreas Khol, Obmann des ÖVP-Seniorenbundes, erklärt: "Mitte der 1990er wurde klar, dass die prognostizierten Kostensteigerungen bei den Staatszuschüssen zu den Pensionen unfinanzierbar würden."

Hohe Verluste durch schwarz-blaue Reformen

Die Folge waren auch geringere Erhöhungen, im konkreten Beispiel wuchs der Kaufkraftverlust kurzfristig auf mehr als 100 Euro netto an, dann gab es wieder ein paar bessere Jahre beziehungsweise: eine Nationalratswahl.

Die große Zäsur war für die Pensionisten dann die schwarz-blaue Koalition ab 2000, als durch die Reformen die Verluste an Kaufkraft für bestehende Pensionen deutlich zunahmen, sie im konkreten Beispiel der hohen ASVG-Pension in Richtung von 250 Euro marschierten. "In dieser Zeit waren die Verluste exorbitant", sagt Karl Blecha, Chef des SPÖ-Pensionistenverbandes. Die Regierung Schüssel hatte dann auch erstmals soziale Staffelungen eingeführt, also unterschiedliche Erhöhungen abhängig von der Höhe des Bezugs, unter Rot-Schwarz wurde diese Gebarung zunächst fortgesetzt.

Bei kleineren Pensionen ergaben sich dadurch geringere Verluste, bei der vorliegenden hohen Pension aber ging die Schere zwischen dem nominellen und dem realen Einkommen auf. "Über diesen langen Zeitraum sind die Effekte schon beträchtlich", sagt Ulrich Schuh. "Wenn höhere Pensionen systematisch gekürzt werden, führt das zu einer massiven Ungleichbehandlung. Die Beziehung von Beitrag und Leistung wird konsequent durchbrochen, und das widerstrebt dem Geist der Pensionsversicherung."

Im Vorjahr wurde die Staffelung aus rechtlichen Bedenken abgeschafft, nun werden wieder alle Pensionen im gleichen Ausmaß angehoben. Für 2013 und 2014 hatten die Pensionistenvertreter eine reduzierte Anpassung akzeptiert (1,0 bzw. 0,8 Prozentpunkte unter dem VPI), in den kommenden zwei Jahren gibt es dann die volle Anpassung. "Wir kämpfen jedes Jahr gegen diese Kaufkraftverluste, finden aber in der Öffentlichkeit nicht den Widerhall, den wir gerne hätten", sagt Blecha. Der Seniorenrat kann direkt auch nur die Erhöhungen verhandeln, in Sachen Steuerreform ist er nur einer von mehreren Interessensvertretern.

Auch Abgaben knabberten Pensionen massiv an

Wie sich anhand der vorliegenden Pensionsbiografie zeigt, sind die kalte Progression sowie zwei deutliche Erhöhungen bei den Krankenkassenbeiträgen (in den Jahren 2004 und 2005) ebenfalls maßgeblich daran beteilt, dass sich die reale Kaufkraft um rund 20 Prozent reduzierte. "Es war der Rhythmus, dass man laufend Steuerreformen gemacht und immer wieder einen Ausgleich gegen die kalte Progression geschafft hat", erklärt Schuh. "Jetzt sind wir in einer Situation, dass wir uns nicht mehr diese Rückerstattung der kalten Progression leisten können." Natürlich betrifft dieser Faktor Erwerbstätige genauso wie Pensionisten, doch sie können sich, zumindest theoretisch, einen anderen Job suchen, wenn ihnen netto zu wenig übrig bleibt, Pensionisten nicht.

Im schleichenden Kaufkraftverlust steckt allerdings auch ein gewisses Maß an Pragmatismus der Politik, zumal es hohe ASVG-Pensionen deutlich stärker traf und die Ausgleichszulage zum Teil deutlich über der Inflation angepasst wurde. Denn welche Alternativen hätte es gegeben?

Wenige Optionen zur Lückenschließung

Beginnt sich eine Lücke im Umlagesystem zu öffnen, gibt es fünf Faktoren, an denen sich drehen lässt. Man kann die Beitragssätze der Erwerbstätigen erhöhen, das Antrittsalter anheben, Neupensionen schlechterstellen, den Beitrag des Bundes aufstocken oder eben bei den Pensionsanpassungen herumschrauben. Seit der jüngsten Reform müssen die Belastungen auf diese Faktoren "gleichmäßig aufgeteilt" werden, wie es im ASVG-Gesetz heißt.

An all diesen Faktoren wurde auch schon in der Vergangenheit herumgedoktert, so sind etwa bereits längere Durchrechnungszeiträume in Kraft. Nur das Antrittsalter ist seit den 70er Jahren unverändert. Zwar wurde eine Angleichung des Frauenpensionsalters bereits im Jahr 1992 (!) beschlossen, allerdings wird dies erst schrittweise ab 2024 passieren. Solange aber diese Ungleichheit nicht beseitigt ist, kann aus rechtlichen Gründen keine Erhöhung des gesetzlichen Antrittsalters vorgenommen werden. Eine Vorziehung der Angleichung wurde zwar von ÖVP gefordert, fand jedoch keine Mehrheit. Die Hoffnung ist nun, dass durch die Reform der Invaliditätspension zumindest das tatsächliche Antrittsalter ansteigt.

Da eine Erhöhung des Bundeszuschusses ebenso wenig mehrheitsfähig ist wie eine weitere Anhebung der Beitragssätze der Erwerbstätigen, bleibt nicht mehr viel übrig. Auch hat sich in Österreich vorerst durchgesetzt, weiterhin Ersatzraten deutlich über dem OECD-Durchschnitt anzubieten. "Wer in Österreich mit einem Gehalt von brutto 2500 Euro in Pension geht, hat einen Anspruch auf 1580 Euro, in Deutschland sind es 670 Euro", rechnet Blecha vor.

Wifo-Experte: Möglichen Kaufkraftverlust mitdenken

Doch was ist dann? Was passiert in weiterer Folge mit den 1580 Euro? Man muss jedenfalls davon ausgehen, dass die Bezugsdauer weiterhin steigen wird und damit ebenso die Gefahr von sich fortschreibenden Kaufkraftverlusten. Und diese sind spätestens durch eine 2010 beschlossene Neuregelung garantiert, da Neu-Pensionisten nun ein Jahr (bei Pensionsantritt im Jänner sogar 23 Monate) auf die erste Anpassung warten müssen. Die Pensionslaufbahn beginnt also gewissermaßen mit einer Nulllohnrunde und damit auch mit einem Kaufkraftverlust.

"Es gilt, die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, damit sie nicht blindlings ins Unglück läuft", sagt Pensionsforscher Schuh. Und auch Url vom Wifo empfiehlt, einen finanziellen Polster mitzubedenken, wenn man in Pension geht. Durch das neue Pensionskonto werden die Erwerbstätigen zwar nun über ihren Anspruch informiert, doch lassen sich naturgemäß keine Aussagen über eventuelle künftige Kaufkraftverluste treffen. "Ich würde davon ausgehen, dass die wenigsten Privathaushalte das berücksichtigen", sagt Url.

Zwar muss die Entwicklung in den kommenden 25 Jahren nicht die gleiche sein wie in den vergangenen 25 Jahren, doch die Gefahr besteht eben. Gerade weil bei den anderen Stellschrauben wenig Spielraum ist. Für Schuh ist aber jedenfalls die vorliegende Bezugsbiografie ein "Hinweis darauf", wie er sagt, "dass es für den Einzelnen von Vorteil wäre, eine möglichst lange Erwerbskarriere anzustreben". Die Erklärung ist simpel. "Je früher man in Pension geht, desto länger ist man dem Schicksal des Pensionssystems ausgeliefert."