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"Ein Viertel der Tiere in Europa vor dem Aussterben"

Von Eva Stanzl

Wissen

EU warnt vor weiterem Artensterben. | Schutz der Biodiversität als Frage von Kosten und Strategie. | Brüssel/Wien. Die Bilanz sieht düster aus: 17.291 von 47.677 Arten sind auf der Roten Liste der internationalen Weltnaturschutzunion IUCN als bedroht gelistet. Anlässlich der bis heute, Freitag, laufenden "Green Week", der größten EU-Umweltkonferenz in Brüssel, warnt Umwelt-Kommissar Janez Potocnik vor einem ungebremsten Artensterben.


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"Die Vielfalt des Lebens auf der Erde geht in rasender Geschwindigkeit zurück", betonte er zum Auftakt des Expertentreffens. Und schockierte mit einer neuen Katastrophenbilanz.

"Bis zu einem Viertel der Tiere in Europa sind vom Aussterben bedroht", sagte am Donnerstag die Direktorin der Europäischen Umweltagentur, Jacqueline McGlade - allerdings ohne einen Zeitraum zu beziffern. Ihr zufolge sind ein Viertel der im Wasser lebenden Säugetiere, 22 Prozent der Amphibien und 21 Prozent der Reptilien gefährdet. Ähnliches gelte für Vögel und für auf dem Land lebende Säugetiere.

Die Hauptgründe für das Artensterben liefert laut EU der Mensch, allen voran die Landwirtschaft. "Allein 26 Prozent der Arten sind gefährdet aufgrund von Pestiziden und Nitraten aus Düngemitteln", so McGlade. Zudem schränken zunehmende Bebauung und der Ausbau von Infrastruktur den Lebensraum von Tieren immer weiter ein. Dazu kommen die "exzessive Ausbeutung von Rohstoffen", Luftverschmutzung und der Klimawandel, der nicht zuletzt fremde Arten in nördliche Gebiete treibt. "70 Prozent der Arten sind in ihrem Lebensraum gefährdet, was die Populationen binnen wenigen Jahren substantiell verändern wird", unterstreicht McGlade.

Eingefrorener Posthorn-Ton?

Selbst die noch so plastischen Warnungen haben etwas von einem eingefrorenen Posthorn-Ton. Den Verlust der Biodiversität aufzuhalten bis 2010 - dieses Ziel hatte die Europäische Union vor acht Jahren ausgerufen. Doch der Plan ist gescheitert, denn der Verlust der Arten schreitet heute sogar schneller voran als zum Start des Aktionsplans. Erst vor wenigen Wochen gaben die EU-Umweltminister bekannt, dass sie dieses Vorhaben nun erst bis 2020 umsetzen können. Aber nur, wenn entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden - "Green Week" hin oder her.

"Ohne radikale legislative Maßnahmen mit Sanktionen sowie einer entsprechenden Raumplanung werden wir wenig weiterbringen", betont Andreas Baumüller vom European Habitats Forum in Brüssel: "Wenn wir keine zielführende Strategie entwickeln und keine Budgets, die diese Strategien unterstützen, wird das Artensterben kaum aufzuhalten sein." Derzeit fließen nur 0,2 Prozent des EU-Gesamtbudgets direkt in den Umweltschutz.

Artenschutz würde sich auszahlen. Etwa haben Biologen kanadische Wildlachs-Populationen über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren beobachtet. Ihre Studie zeigt: Der Satz "Abwechslung ist die Würze des Lebens" sollte in Zukunft als ökologisches Gebot gelesen werden. Von den 1950er Jahren bis heute spülte der Fischfang mit Rotlachs geschätzte 7,9 Milliarden Dollar in die Kassen der US-Wirtschaft. Knapp zwei Drittel davon stammen aus dem untersuchten Gebiet Bristol Bay, berichten Jeff Hutchings von der Dalhousie University in Kanada und sein Team in der aktuellen Ausgabe von "Nature". Diese Einnahmen könnten von einem Jahr aufs andere einbrechen, wenn man in die natürlichen Habitate der Rotlachse eingreifen - und ihnen dadurch ihre gesunde Populationsstruktur nehmen würde.

Bleibt zu hoffen, dass die Staatengemeinschaft die Sprache des Geldes versteht. Der Bestand des roten Thunfisches ist seit Beginn der Handelsfischerei auf 15 Prozent geschrumpft. Trotzdem hat man noch kein bedingungsloses Handelsverbot verhängt.