Vilnius/Pressburg/Warschau - Das Ergebnis des Referendums über den EU-Beitritt Litauens lässt die Regierungen anderer osteuropäischer Staaten Hoffnung schöpfen. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 90 Prozent haben sich die LitauerInnen für die Mitgliedschaft in der Union ausgesprochen, und auch die Hürde der Mindestbeteiligung ward genommen. "Ein neuer Abschnitt in unserer Geschichte beginnt", verkündete Präsident Rolandas Paksas.
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Wenn es notwendig ist, dann kommen sie. Als im Jahr 1991 sowjetische Militäreinheiten Fernsehen und Rundfunkzentrum stürmten, hielten an die 150.000 Menschen Wache vor dem litauischen Parlamentsgebäude. Zwölf Jahre später sind die LitauerInnen weit weniger dramatischen Aufrufen gefolgt - den Appellen, an der Volksabstimmung über einen EU-Beitritt teilzunehmen. So konnte die Mindestbeteiligung trotz ungünstiger Prognosen am zweiten Tag des Referendums erreicht werden: 63,3 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab; 89,9 Prozent votierten für und lediglich 8,9 Prozent gegen die Mitgliedschaft. Das Ergebnis ist gültig und bindend. Ihren Beitrag zur Motivation der WählerInnen haben der jetzige und ehemalige Präsident, Rolandas Paksas und Valdas Adamkus, noch am Sonntag mit Aufrufen im Fernsehen geleistet. "Wir sind über das Wochenende aufs Land gefahren", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters eine Einwohnerin von Vilnius. "Doch als wir im Fernsehen von der niedrigen Wahlfrequenz hörten, mussten wir zurückkommen und wählen."
Mit den Worten "Hallo, Europa" deklarierte Präsident Paksas den Beginn "eines neuen Abschnittes" in Litauens Geschichte. Ministerpräsident Algirdas Brazauskas sprach von einer Entscheidung für die Zukunft der "jungen Menschen". Weniger euphorisch kommentierte die Wahlfrequenz Vytautas Landsbergis, der als Präsident vor zwölf Jahren Litauen in die Unabhängigkeit geführt hatte: Der Patient hätte trotz der Bemühungen der Ärzte überlebt. Landsbergis warf der Regierung vor, in ihrer Kampagne die Betonung der historischen Dimension vernachlässigt zu haben.
Den Gratulationen aus zahlreichen jetzigen und künftigen EU-Staaten tat dies keinen Abbruch. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi begrüßte das "überwältigende Ergebnis" der "historischen Wahl", Erweiterungskommissar Günter Verheugen würdigte den Wandel der ehemaligen Sowjetrepublik. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer und die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner nannten die Zustimmung zur EU ein wichtiges und sehr positives Signal.
Mit Interesse hatten das litauische Referendum nicht nur die zwei baltischen Republiken Estland und Estland verfolgt, die im September über ihre Mitgliedschaft in der EU abstimmen. Auch Litauens Nachbar Polen und die Slowakei blickten am Wochenende nach Vilnius. Slowakische Zeitungen räumten der Volksabstimmung viel Platz ein - sind die SlowakInnen doch als nächste aufgerufen, über einen EU-Beitritt ihres Landes zu entscheiden. Laut der Tageszeitung "Sme" sei die Regierung in Vilnius an die Grenze des Möglichen gegangen, um die WählerInnen zu den Urnen zu locken. Das Wahlverhalten wiederum sei mit Politikverdrossenheit und einem Gefühl der Enttäuschung durch die politischen Eliten zu erklären.
Die polnische Regierung stellt Litauen dennoch als Vorbild hin. Die Nachrichten aus Vilnius hätten die Stimmung in Warschau deutlich gehoben, meinte die Tageszeitung "Rzeczpospolita". Ähnlich wie es in Litauen war, ist in Polen die Sorge um die Mindestbeteiligung groß. Doch die proeuropäische Stimmung und das Interesse an der Volksabstimmung steige, zeigte sich Präsident Aleksander Kwasniewski optimistisch. Auf die Entscheidungen in Estland und Lettland wird das Referendum ebenfalls Auswirkungen haben. Wenn, dann treten wir gemeinsam bei, ist in Riga oft zu hören.