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Ein Volksfest samt Balkon-Szene

Von Brigitte Pechar und Walter Hämmerle

Politik

Entspannt, selbstbewusst und durchaus auch mit den notwendigen selbstkritischen Untertönen, so wie es eben einer Republik im mittleren Alter gut zu Gesicht steht, haben tausende Menschen am Sonntag im Wiener Belvedere den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags gefeiert. Ein Volksfest, angereichert mit Zeitzeugenberichten und viel Kultur - und mittendrin so manch staunende Touristen.


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Sonntage sind zum Ausschlafen da. Dementsprechend gemächlich füllte sich das weitläufige Parkgelände unterhalb jenes Balkons, von dem aus Leopold Figl, umgeben von den Außenministern der vier Besatzungsmächte, am 15. Mai 1955 die in diesen Tagen tausendmal zitierten Worte sprach: "Österreich ist frei". Es ist dies im historischen Bewusstsein der Zweiten Republik das ins positive gekehrte Spiegelbild zu jenem 15. März 1938, als Hilter auf dem Wiener Heldenplatz von Hunderttausenden bejubelt wurde. So manch einer, der damals, 1955, dabei war, ließ sich auch diesen Sonntag nicht entgehen.

Die Unterschiede hätten allerdings größer kaum sein können. Was den Menschen die Wiedergewinnung der - geschenkten - Freiheit bedeutete, ist heute nicht mehr allgegenwärtig. Wenn dem anders wäre, hätten nicht insbesondere die österreichischen Festredner (Seite 4) die Bedeutung, die dieser Tag für dieses Land besitzt, so oft betonen müssen.

Wer wissen wollte, wie es um das staatsbürgerliche Wissen heutiger Maturanten steht, konnte sich praktischerweise am Samstagabend bei der "Millionen-Show" des ORF von allfälligen Illusionen befreien: Sogar der Telefonjoker - ein Lehrer! - sah sich außerstande, Karl Renner der richtigen Partei zuzuordnen. Ein weiterer junger Kandidat entschloss sich bei der Frage (es ging um 10.000 Euro), wer in Österreich Verfassungsgesetze beschließt, für den Ausstieg.

Ganz so schlimm war es um das politische Bewusstsein der Besucher des Festes zur 50-Jahr-Feier nicht bestellt. "Die vergangenen 50 Jahre sind etwas, auf dem man aufbauen kann", meinte ein Mann des Jahrgangs 1975. "Schön, dass die Republik so etwas feiern kann" - auch wenn er zugestand, dass ihm ein emotionaler Zugang fehlt.

Bis zur Nachstellung der berühmten Balkonszene um 12.15 Uhr hatte sich auch der Platz vor dem Schloss mit rund 10.000 Menschen gefüllt. Und angesichts der in voller Montur angetretenen Pfadfinder, die die neu angelegten Blumenbeete und Rasenflächen bewachten, konnte sich auch die Sonne ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. "Ich bin gekommen, um zu demonstrieren, dass uns die Unterzeichnung des Staatsvertrags auch heute noch etwas angeht", sagte eine 55-jährige Frau. Sie hatte schon befürchtet, dass angesichts des langen Pfingstwochenendes zu wenig Menschen zu diesem Ereignis kommen würden.

Auch diesmal erklang Beifall, als die Politiker auf den Balkon traten, allerdings waren nicht ganz so viele rot-weiß-rote Fähnchen wie 1955 zu sehen. Nur wenige hatten das österreichische Banner mitgebracht. Ein Zeichen, dass hierzulande Patriotismus, sieht man einmal vom Sport ab, nicht auf laute Art demonstriert wird.

Keine Ahnung über den Anlass der Feierlichkeiten hatte dagegen ein junges Touristenpärchen aus China, das sich unter die Besucher mischte. Die Freude über das vielfältige kulturelle Angebot - vom Don Kosaken-Chor über einen poppigen Mozart-Verschnitt bis hin zu den Wiener Sängerknaben - stand hier im Vordergrund. Ungewohnt und beeindruckend zugleich war für die chinesischen Besucher die geringe Distanz zwischen Politikern und Bevölkerung.

Zeitgeschichte aus erster Hand lieferten Ludwig Steiner, der letzte noch lebende Zeitzeuge der Staatsvertragsunterzeichnung, in Wort und der 1948 aus der unfreiwilligen Emigration zurückgekehrte Kabarettist Gerhard Bronner am Klavier. Insgesamt sorgten mehr als 240 Künstler für Unterhaltung. Abendlicher Hauptakteur am Abend war Joe Zawinul mit Größen der Wiener Musik-Szene. Bis dahin hatte sich auch die Altersstruktur des Publikums stark verjüngt.

Zeitgeschichte der etwas aktuelleren Art wurde aber auch geboten: Aktivisten machten mit selbstgebastelten zweisprachigen Ortstafeln auf die nach wie vor ausstehende Erfüllung von Artikel 7 des Staatsvertrags in Österreichs südlichstem Bundesland aufmerksam. Eine Aktion, die nicht bei jedermann auf Verständnis stieß.