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Am kommenden Sonntag wird in der Türkei gewählt. Die neue politische Partei HDP (Demokratische Partei der Völker) bricht viele Tabus.
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Eine neue Bewegung bringt frischen Wind in die Politik der Türkei: Kurz vor den Parlamentswahlen sind die HDP-Wähler (HDP: Demokratische Partei der Völker) überzeugt, dass die neue Partei die Zehn-Prozent-Hürde schaffen wird. Meinungsforscher dagegen sind sich nicht einig, ob die HDP diese Hürde tatsächlich wird überwinden können. Die Wähler der ehemaligen prokurdischen Partei sind zweifelsohne die treibende Kraft hinter der HDP. Ende 2013 wechselten die prokurdischen BDP-Politiker zur HDP, einer Art Dachorganisation eher linksorientierter Oppositionsbewegungen der Türkei, und nahmen hierfür heftige Kritik in Kauf. Nicht wenige kurdische Wähler fühlten sich verraten. Fotos von HDP-Meetings, auf denen zu sehen ist, wie türkische und kurdische Fahnen nebeneinander stehen, erregen nicht nur bei türkischen, sondern auch bei kurdischen Wählern Unmut; diese sehen in diesem Nebeneindander der Fahnen ein Zeichen der Türkisierung der Bewegung. Wann jedoch wurde die prokurdische Partei, die noch bis vor Kurzem als Terroristenorganisation diskreditiert und immer wieder angegriffen wurde, salonfähig?
Verbindet die Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan die Türken und Kurden doch? Marginale oder marginalisierte Gruppen wie die LGBT-Bewegung, religiöse und ethnische Minderheiten, politische Linke, Umweltaktivisten, die Gezi-Park-Bewegung, aber auch Bürgerliche: Für viele von Erdogans Politik ermüdete Menschen stellt die HDP eine Alternative dar, von der sich sowohl Türken als auch Kurden vertreten sehen. Unter der Dachorganisation der HDP sind türkische Linksparteien vertreten, ebenso Aleviten und nichtmuslimische Minderheiten sowie ein nicht geringer Anteil sunnitisch orientierter Politiker. Neben der Stammwählerschaft scheint die HDP zumindest einen Teil der Protestwähler für sich zu gewinnen. Türkische Fahnen neben Öcalans Poster sind bei HDP-Meetings keine Seltenheit mehr.
Neue Führungsperson der Kurden
Der wie ein Popstar gefeierte Co-Parteivorsitzender Selahattin Demirtas liefert einen großen Beitrag zur Akzeptanz der HDP-Politik unter der türkischen Wählerschaft. Die Herzen der nichtkurdischen Wähler gewann der eloquente Mann bereits bei den Präsidentschaftswahlen. Er repräsentiert bei seinen volksnahen und rhetorisch perfekten Auftritten die HDP-Politik. Demirtas, der selbstsicher und entschlossen gegen Erdogan auftritt und ihn herausfordert, begegnet seiner Wählerschaft mit Respekt und auf Augenhöhe. Die fehlende Kurdenpolitik der Türkei, aber auch andere aktuelle Themen werden immer wieder von ihm aufgegriffen und thematisiert. Seine Wahlkampfreden sind breit gefächert.
Demirtas gewann die türkischen Stimmen für die HDP, brach aber ein Tabu unter den Kurden: Er ist die erste Person, die seit der mehr als 30 Jahren bestehenden kurdischen Freiheitsbewegung neben Öcalan als Führungspersönlichkeit auftritt und auf dem Weg ist, einen Personenkultstatus zu erlangen. Mit Öcalans Einverständnis darf Demirtas als einziger Mann der Kurdenbewegung seine Person in den Vordergrund stellen und nicht nur als Teil einer großen Bewegung agieren.