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Ein Wahlverlierer auf Abwegen

Von Tamás Dénes

Europaarchiv

Wien/Budapest - Ungarns sozialliberale Regierung drängt in Sachen EU-Erweiterung auf überparteilichen Konsens. Letzte Woche appellierte Ungarns Premier Peter Medgyessy an seinen Vorgänger Viktor Orbán, den ungarischen EU-Beitritt zu unterstützen. Orbán war zuletzt durch zunehmend EU-kritische Töne aufgefallen.


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Wie die ungarische Presseagentur MTI berichtete, bittet Ungarns sozialdemokratischer Premier Medgyessy seinen Vorgänger Orbán in einem Schreiben konkret darum, als Vizepräsident der Europäischen Volkspartei die Interessen Ungarns gegenüber der EU mit Nachdruck zu vertreten.

Trotz der Niederlage seiner rechtskonservativen Regierung bei den Parlamentswahlen im Frühjahr, gilt Viktor Orbán weiter als die große Integrationsfigur von FIDESZ, der nun in Opposition befindlichen, zweitgrößten Partei des Landes. Zudem genießt Orbán immer noch große Popularität unter den Wählern aller Altersgruppen.

Kurswechsel eines Verlierers

Nach seiner Wahlniederlage im Frühling begann der einstige EU-Verfechter allerdings, verstärkt auf die Gefahren des EU-Beitritts für Ungarn hinzuweisen. Vielerorts wurde er daraufhin dem Kreis der EU-Gegner zugeordnet. Erst jüngst, im Zuge der Gemeinderatswahlen, wies Orbán darauf hin, dass verschiedene ungarische Interessen im Hinblick auf die kommende EU-Erweiterung zu kurz kämen.

Früchte der EU-Angst

Die plötzliche EU-Skepsis Orbáns sei ein "logischer Schritt", analysiert der ungarische Politologe Tibor Gazsó im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Als Folge seiner Niederlage bei den Parlamentswahlen sei der Ex-Premier vor einem strategisch-taktischen Scheideweg gestanden. Nachdem er das Land nun nicht mehr in die EU leiten könne, wolle er wenigstens die Früchte der Angst vor dem EU-Beitritt ernten. Seiner Ansicht nach werde Orbán diese Linie zumindest bis Januar des kommenden Jahres weiter verfolgen.

Der jetzige FIDESZ-Parteivorsitzende, Janos Ader, stellte bei der jüngsten Fraktionssitzung allerdings klar, dass er Orbáns Schwenk in Richtung EU-Skepsis nicht mittragen werde: Er betonte, dass seine Partei seit 1988 eine klare pro-EU-Linie vertrete.

Laut dem Politologen Tibor Gazsó würde es die größte Oppositionspartei Ungarns nie riskieren, offen gegen die EU aufzutreten. Sind doch mehr als 60 Prozent der Bevölkerung für den EU-Beitritt.

Nur zwei Kleinparteien, beide am äußersten politischen Rand angesiedelt, nämlich die rechtsextreme "Ungarische Wahrheits- und Lebenspartei" (MIEP) und "Munkaspart", die extrem links angesiedelte "Arbeiterpartei", leisten sich einen EU-feindlichen Kurs.