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Ein Weltspartag ohne Zinsen

Von Oliver Picek

Gastkommentare
Oliver Picek ist Chefökonom des Momentum Instituts, das sich "Think Tank der Vielen" nennt. Er hat Volkswirtschaft in Wien, Paris und New York studiert.
© Ingo Pertramer

Wie gelingt ein Abschied von den Nullzinsen?


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Am heutigen 31. Oktober schreien nicht nur die Geister von Halloween. Noch lauter vernimmt man das Wehklagen der Sparer über niedrige Zinsen. Traditionell pilgern sie am Weltspartag in die Banken und legen Geld aufs Sparbuch, um kleine Geschenke einzuheimsen. Früher, heißt es, habe man noch vernünftige Zinsen am Sparbuch bekommen. Warum ist das heute nicht mehr so?

Die Zinsen sind niedrig, weil die Wirtschaft während Corona darniederliegt. Wegen fehlender Einkommen können Arbeitslose und Kurzarbeiter nicht konsumieren. Reichere Haushalte wiederum wollen dies nicht, solange die gesundheitliche Situation so angespannt bleibt. Das zurückgehaltene Geld landet bei den Banken, doch Abnehmer findet es nicht. Kreditwürdige Firmen, die investieren wollen, sind derzeit Mangelware. Die langfristigen Zinsen bleiben deshalb auf absehbare Zeit niedrig.

Das ist zwar bitter für mehr oder weniger vermögende Sparer, es setzt allerdings volkswirtschaftlich das richtige Signal, doch bitte mehr Geld auszugeben.

Richtig ist freilich der Einwand, dass die Zinsen schon vor Corona niedrig waren.

Wie kam es dazu? Durch den Crash der entfesselten Finanzmärkte in den Jahren 2001 sowie 2008/2009 und den darauffolgenden Absturz der realen Wirtschaft sahen sich die Notenbanken gezwungen, die Zinsen für kurzlaufende Kredite stark zu senken. Aus dieser Abwärtsspirale ist Europa nie wieder herausgekommen. Zunächst sind die Konjunkturpakete der europäischen Staaten gegen die Finanzkrise zu klein geblieben. Dann hat der reiche Norden ganz Südeuropa in eine Kürzungsorgie gezwungen, die Millionen Südeuropäer in die Arbeitslosigkeit getrieben hat. Der Wirtschaftsaufschwung - nicht nur im Süden - ist deshalb erwartbar schwach ausgefallen. Er ist auch in Österreich erst nach sieben mageren Jahren und einem Anstieg auf 400.000 Arbeitslose wiedergekommen. Die Folge: Die tiefen Zinsen sind trotz allem in Stein gemeißelt.

Das Absurde daran ist, dass konservative Kommentatoren und wirtschaftsliberale Ökonomen heute zu den härtesten Kritikern der Nullzinsen zählen. Jedoch haben sie diese Situation durch ihren unerschütterlichen Glauben an unregulierte Finanzmärkte selbst mit herbeigeführt. Jede der schädlichen Politiken haben sie vorgedacht und aktiv eingefordert.

Seit der Corona-Krise ist die wirtschaftliche Situation noch verfahrener als nach der Finanzkrise. Sollen die Zinsen je wieder steigen, braucht es diesmal wirklich massive Konjunkturprogramme des Staates über mehrere Jahre, nicht nur einmalig im heurigen Jahr. So lange, bis das Wirtschaftswachstum wieder ordentlich steigt. Erst dann werden auch die Löhne und Preise steigen, und die Europäische Zentralbank kann endlich den kurzfristigen Zinssatz erhöhen.

Karl Marx meinte einst, die Geschichte wiederhole sich immer zweimal: einmal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Wenn die wirtschaftsliberalen Berater der Bundesregierung aus den wirtschaftspolitischen Fehlern nach der Finanzkrise etwas gelernt haben, dann könnte ein kräftiger Wirtschaftsaufschwung gelingen. Dann könnten wir auch den Weltspartag wieder feiern - mit Zinsen.