Dem berühmten Berliner Künstlerhaus Tacheles droht die Zwangsräumung. | Berlin. Mauer und besetzte Häuser, Revolution und Widerstand. Berlin weiß dieses Bild zu vermarkten. Dass ein Teil davon nun wegen Finanzproblemen vor der Zwangsräumung steht, gefällt dem Stadtsenat deshalb gar nicht: Tausende Besucher kommen jährlich ins Tacheles, in das heruntergekommene Haus in der Oranienburgerstraße im Bezirk Mitte, ehemaliges Ostberlin, wo zurzeit 30 Künstler arbeiten. Im Café Zapata pfaucht dort ein feuerspeiender Schrottkunst-Drache, im nach Urin stinkenden Stiegenhaus sind die Wände zugesprayt, auf mehreren Stockwerken befinden sich eine Bühne und verschiedene Ateliers.
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Damit das so bleibt, drohen die Künstler mit Hungerstreik. Gemeinsam mit Mitarbeitern und Fans organisieren sie Demonstrationen gegen die "letzte Einkaufstour des neoliberalen Zombies": Die Investoren sollen nicht alles bekommen, sagen sie.
Ortsübliche Mieten kann sich das Tacheles allerdings nicht leisten und der alte Vertrag ist schon 2008 ausgelaufen. Eine Mark bzw. 50 Cent sind bis dahin pro Quadratmeter gezahlt worden - ein besonderer Deal für die Künstlerinitiative, nachdem das Immobilienunternehmen Fundus das Gelände in den 1990er Jahren aus bundeseigenem Treuhandvermögen erworben hatte. Eigentlich wollte Fundus die Brachfläche hinter der denkmalgeschützten Ruine mit Büros, Wohnungen und einem Hotel bebauen. Die Pläne scheiterten aber. Nun sucht die HSH Nordbank als Gläubiger einen neuen Anleger. Das Gelände soll zwangsversteigert werden.
"Wir appellieren an die HSH Nordbank", sagt Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD). Im Vorjahr war die Landesbank mit mehreren Milliarden Euro Steuergeld vor der Pleite gerettet worden. "Die Bank hat viel Geld bekommen, jetzt sollte sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen", sagt Schmitz und nennt Kultur einen "Bringer", auch für Investoren.
Kein Geld von der Stadt
Die Geschäfte rund um das Tacheles profitieren jedenfalls von dem Touristenmagneten. Berlin-Besucher wollen jenes Haus sehen, das übriggeblieben ist von damals, das symbolhaft für die Übergangszeit nach dem Mauerfall steht. Der Bezirk Mitte zog nach 1989 jene an, die Kunst machen und feiern wollten. Von den Häusern bröckelte der Putz. Einige standen leer. Hergerichtet war nichts, es sah trist aus. Altbauten zu erhalten, war teuer, stattdessen war die billigere "Platte" errichtet worden. So nützte man den Raum, der plötzlich da war, bis sich andere dafür interessierten.
Die Künstlerinitiative Tacheles hatte das Haus im Winter 1990 besetzt. Vor hundert Jahren war hier einer der ersten Stahlbetonbauten Europas entstanden, eine Einkaufspassage, die alle bisherigen übertreffen sollte. Das Gebäude war im Laufe der Jahre nie saniert worden, zum Teil wurde es in den 1980er Jahren gesprengt. Der restliche Abriss sollte im April 1990 erfolgen. Es kam nicht dazu.
Heute ist Mitte nicht mehr grau, die Wohnungen sind vergleichsweise teuer und die Geschäftsmieten auch. Rund um die Oranienburgerstraße gibt es ein Dutzend Schuhgeschäfte, Läden, die Kleider junger Designer verkaufen, eine H&M-Filiale und in den Seitengassen viele Galerien. Improvisiert, Neues ausprobiert und gefeiert wird heute eher in anderen Teilen der Stadt.
"Wir bleiben" steht dennoch auf den Plakaten, die auf den Fenstern des Tacheles kleben. "Eine Zwangsräumung gibt keine gute Presse, solche Bilder wollen wir vermeiden", sagt auch Staatssekretär Schmitz. Geld für das Haus hat Berlin aber keines, die Stadt ist pleite. Wie es weitergeht, ist ungewiss. Eigentlich hätte das Tacheles im Juli geräumt werden sollen.