Die britischen Vorschläge für die Zeit nach dem Austritt aus der EU bereiten auf beiden Seiten Kopfzerbrechen.
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London/Brüssel/Wien. Angus Robertson vergleicht es mit einem Zauberwürfel. Der Prozess des EU-Austritts Großbritanniens sei wie das Drehpuzzle mit seinen verschiedenen Farben und Facetten, sagt der ehemalige Vizevorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP). Und es gebe darin so viele Variablen, dass klare Antworten auf wesentliche Fragen nicht möglich seien.
Von denen sind nämlich noch etliche offen. Zwar hatte die britische Premierministerin Theresa May in der Vorwoche ein so genanntes Weißbuch vorgelegt, in dem die Grundzüge der künftigen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent skizziert werden. Doch zum einen regt sich selbst in den Reihen der konservativen Regierungspartei Widerspruch gegen die Pläne einer Form von Handelsunion mit der EU. Zum anderen lassen sich die Wünsche der britischen Brexit-Befürworter und -Gegner kaum vereinbaren.
Die einen wollen weiterhin Personenfreizügigkeit, die anderen strikte Kontrolle der Einwanderung; für die einen stellt sich der EU-Austritt als Risiko dar, für die anderen der Verbleib in der Gemeinschaft: All diese Gegensätze seien in einem einzigen Brexit-Plan nicht zu vereinen. Darauf verweist der Politologe Matthew Goodwin, der gemeinsam mit Angus Robertson an einer Diskussionsveranstaltung des Europa Club Wien teilnahm. Beide sehen die Gefahr eines harten Brexit, also einer Trennung ohne Abkommen, als gegeben an.
Dass sich ihr Kabinett auch auf diese Variante vorbereite, machte May gestern, Mittwoch, in London klar. Kurz zuvor hatte sie eine Abstimmungsniederlage im Parlament abgewendet. Vor einem Votum über die Vorschläge zur künftigen Zollpolitik soll sie mit vorgezogenen Wahlen noch im Sommer gedroht haben, sollten Kritiker in der Partei ihren Brexit-Plan zu Fall bringen. Diesen wollen die EU-Institutionen erst einmal bewerten.
Riss durch die irische Insel
Doch schon jetzt ist klar, dass einige Vorstellungen der Briten mit den Vorgaben in der Union nicht einhergehen. So ist etwa freier Warenverkehr mit Personenfreizügigkeit verbunden - und nicht davon trennbar. Die Zeit, eine Lösung für all die Probleme zu finden, ist knapp. Im Oktober müsste der Austrittsvertrag ausgearbeitet sein, damit er bis zum Brexit im März des kommenden Jahres ratifiziert werden kann.
Den Vereinbarungen zwischen London und Brüssel müssen nicht nur die 27 verbleibenden EU-Staaten zustimmen. Auch das EU-Parlament ist eingebunden. Und auch dort wächst der Unmut über die Zähigkeit der Brexit-Verhandlungen. Von deren Ergebnis seien nämlich etliche Familien betroffen, erklärt etwa die britische liberale EU-Abgeordnete Catherine Bearder. Sie spricht von Ehepartnern aus verschiedenen Ländern, die sich scheiden lassen, von Kindern, die im Ausland studieren. Welche Gesetze sind bei Streitigkeiten anzuwenden, welche Regeln haben Gültigkeit? All das sei zu klären.
Bei einem Presseseminar in Brüssel, organisiert von der europäischen Journalistenvereinigung AEJ und vom EU-Parlament unterstützt, erhielt Bearder bei dem Thema Rückendeckung von ihrem irischen Kollegen Brian Hayes, der der Europäischen Volkspartei angehört. Er führte das Beispiel seiner Heimatinsel an, wo es wieder zu festen Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland kommen könnte.
"Es geht nicht nur um Transport und Handel, sondern um das Alltagsleben vieler Menschen", betonte Hayes. So könnte es schwieriger werden, ein Rezept für ein Medikament in der Apotheke auf der anderen Straßenseite einzulösen - wenn sich diese jenseits der Grenze befindet. Oder eine Gruppe Kinder zu einem Fußballspiel in den Nachbarort zu fahren.
Die Rückkehr zur harten Grenzziehung scheint ohne eine Brexit-Vereinbarung jedenfalls unvermeidbar. "Da können wir nichts machen. Wenn es keinen Deal gibt, dann haben wir keinen Deal": So fasst es Gregor Schusterschitz zusammen, Österreichs Delegierter in der Arbeitsgruppe der 27 EU-Staaten, die die gemeinsamen Positionen in den Trennungsverhandlungen abstecken.
Angriff auf Premier Mays Kurs
Dass die Grenzproblematik überhaupt so viel Raum einnehme, kritisierte in London wiederum Boris Johnson, der noch Anfang der Vorwoche britischer Außenminister war. "Technische Lösungen" für Kontrollen seien nicht geprüft worden. Einmal mehr griff Johnson Mays Kurs an und warf der Premierministerin vor, das Königreich im Verhältnis zur EU "halb drinnen und halb draußen" halten zu wollen. Doch Antworten auf all die offenen Fragen hat er noch weniger als andere parat.