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Das autoritäre Regime von Präsident Alvaro Uribe verkündet "aus Sicherheitsgründen" den totalen Krieg, statt mit der Guerilla und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft nach Lösungen für die sozialen und politischen Probleme des Landes zu suchen. Ausnahmezustand, eine Kriegssteuer für die schmale Mittelschicht und die Reichen, Kopfgeld auf Guerilla-Führer, Bewaffnung der Zivilbevölkerung und ein Spitzelwesen sind Eckpunkte seines nach dem Amtsantritt im August verkündeten Programms.
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Wer sich organisiert, Kritik übt und Widerstand leistet, gerät noch stärker als bisher unter Verdachtm, der Guerilla anzugehören oder deren Handlanger zu sein. Unter solchen Bedingungen bedeutet es Lebensgefahr, in einer Gewerkschaft oder Bauernorganisation, aktiv zu sein, oder sich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen. Manchmal reicht es auch schon, sich für die armen Bevölkerungsschichten einzusetzen, wie es ist der katholische Priester José Luis Arroyo getan hatte. Am vergangenen Samstag, just zum internationalen Tag des Friedens, wurde er in Medellin umgebracht.
Beliebtes Ziel sind auch Gewerkschaftsmitglieder. Seit Gründung der Einheitsgewerkschaft CUT als Dachverband der kolumbianischen Gewerkschaften im Jahr 1987 sind 3.800 ihrer Mitglieder ermordet worden. Die erschütternden Zahlen allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind: 85 ermordete Gewerkschafter, elf Attentate gegen Gewerkschaftsführer, sieben zum Verschwinden gebrachte und neun entführte Gewerkschafter.
Es handelt sich um eine Politik der systematischen Eliminierung, die im ganzen Land von Paramilitärs und Gruppen der extremen Rechten zu verantworten ist, jedoch praktisch völlige Straffreiheit geniesst.
Kleine Oasen des Friedens
Trotz Kriminalisierung und militärischer und paramilitärischer Gewalt ist der Widerstand sichtbar, und dies jenseits des gewaltvollen Kampfes der Guerilla. Neben vielen anderen Zeugnissen der Gewaltfreiheit und des Einsatzes für das Leben und für Gerechtigkeit sind die rund zwanzig Friedensgemeinden dafür ein beeindruckendes und mutiges Beispiel.
Kennzeichen dieser Friedensgemeinden sind gemeinschaftliche Organisation; Nichtbeteiligung an indirekt oder direkt mit dem Krieg verbundenen Handlungen, d.h. keine eigene Bewaffnung, keine wie auch immer geartete Unterstützung einer der Kriegsparteien durch Lebensmittel und Unterkunft, sowie keine Weitergabe von Informationen an sie; Eintreten für ein Ende des bewaffneten Konflikts und für eine Verhandlungslösung unter breiter Beteiligung; Anerkennung der von der Friedensgemeinde demokratisch bestimmten VertreterInnen und Komitees.
Viele der Friedensgemeinden entstanden nach der Erfahrung von Vertreibung, Plünderung und Mord und stehen in Verhandlungen mit dem Staat zur Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts. Darin geht es auch um die Rückkehr in ihre angestammten Gebiete samt Garantien, nach der Rückkehr nicht abermals Opfer staatlicher oder parastaatlicher Gewalt zu werden. Zum Teil werden die Bemühungen dieser Gemeinden von kirchlichen Stellen oder auch durch die Begleitung durch internationale Beobachter unterstützt.
Die Vertreibung - Bericht aus einer Friedensgemeinde
Am 24. Februar 1997 begann unter dem Namen "Genesis" eine militärische und paramilitärische Aktion gegen 23 Gemeinden am Cacarica-Fluss im Norden der Provinz Chocó im Grenzgebiet zu Panamá. "Wir wurden von unseren Ländereien durch wahllose Bombardierungen zwangsweise vertrieben und sahen uns gezwungen, in drei Gruppen aufgeteilt an drei verschiedene Orte zu fliehen. Während der Angriffe wurden mehrere Personen ermordet, andere zum Verschwinden gebracht, gefoltert und vergewaltigt. Viele Häuser, die Kooperative und ein Gemeinschaftsladen wurden zerstört", berichtet ein Augenzeuge.
Es heißt, die Operation sei gegen die FARC-Guerilla gerichtet gewesen, doch die vorwiegend afroamerikanischen Siedler am Cacarica haben es anders erlebt: "Was wir gesehen haben und was wir als Wahrheit bezeugen können, ist, dass die Operation Genesis gegen die Zivilbevölkerung gerichtet war".
Vor dieser Vertreibung lebten in den 23 Gemeinden zwischen 4500 und 5000 Personen. Sie wurden zu einem Teil der derzeit geschätzt über 2,1 Millionen Menschen in Kolumbien, die zu den "intern Vertriebenen" gehören. Diese IDPs, "internally displaced people" gehören laut der UNO zu den am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Im konkreten Fall von Cacarica sind 1.400 von ihnen nach vier Jahren Verhandlungen mit der Regierung im vergangenen Jahr zurückgekehrt. Die anderen leben - niemand weiß wo, zerstreut, und ohne gemeinschaftliche Organisation.
Neubeginn im Krieg
Während der Zeit der Vertreibung sind unrechtmäßig Holzunternehmen in das Gebiet eingedrungen, haben Bäume gefällt und ökologische Schäden angerichtet, die zum Absterben von Fischen und Pflanzen geführt haben.
All das geschieht unter der Komplizenschaft von Regierungsstellen und Paramilitärs, die Kontrollposten inmitten des laut Verfassung den Gemeinden zugestandenen Territoriums errichtet haben. Das Militär überprüft durch "bewaffnete Zivilisten" jede Woche, was die Gemeinden brauchen - und deckt die Holzunternehmen in ihrem zerstörerischen Tun. "Seit Beginn dieses Jahres schneiden sie uns die Nahrungsmittelversorgung ab. Wir sehen uns mit den Absichten jener konfrontiert, die uns damals vertrieben haben: Sie wollen sich unseres Denkens, unserer Herzen und unseres Territoriums bemächtigen. Wir sollen Coca-Pflanzen statt Nahrungsmittel anbauen. Das ist in unserer Region der ,Plan Colombia´: extensive Coca-Pflanzungen und agroindustrieller Anbau von Ölpalmen", berichtet einer der Betroffenen. Im November seien Bewaffnete gekommen und hätten die ganze Reisernte abgebrannt. "Ein weiteres Mal kamen sie im Februar mit Dollars, mit Coca- und Palmensamen und wieder brachten sie zwei Leute um", schildert ein Betroffener. In der Region soll mit kolumbianischem und französischem Kapital nun auch ein Staudamm errichtet werden - erneut unter dem Druck militärischer und pramilitärischer Gewalt.
Eine "humanitäre Zone" - Einzäunung als Schutz
Als die Gemeinde im Juni 2001 abermals angegriffen wird, beschließen die an den Cacarica-Fluss zurückgekehrten Flüchtlinge Notmaßnahmen zu ihrem Schutz. Ihre zwei je zwölf Hektar großen Siedlungen "Neues Leben" und "Vertrauen in Gott" stehen heute kurz davor, mit einem "Stacheldrahtzaun des Überlebens" umgeben zu werden. "Wir haben um Schutz gebeten, um Wiedergutmachung für das Leid und die 85 Toten der Vertreibung von 1997, doch alles vergebens", schildert ein Betroffener. Nun soll der Zaun helfen, die Häuser vor dem Zutritt der Peiniger schützen.
Und wie steht es um die FARC-Guerilla? Diese sei im April vor zwei Jahren, schwer bewaffnet, in der Gemeinde aufgetaucht, berichtet ein Bewohner der Freidensgemeinde. "Wir haben ihnen von unserem `Projekt des Lebens´ erzählt. Sie haben es akzeptiert und sind nicht wieder gekommen". Der Vorschlag einer humanitären Zone sei von ihnen toleriert worden, ganz im Gegensatz zum kolumbianischen Staat. Mit der neuen Regierung sind die Ängste der erklärten Friedensgemeinde gestiegen. Niemand will hier zu der Million an verdeckten Mitarbeitern des Militärs und zu dessen Informanten gehören. "Wir wissen, dass der Konflikt auf diese Weise nicht gelöst wird, wir wollen hier nicht noch mehr Tote haben", hört man von den Menschen. Auch die angekündigte Abschaffung der Ombudsstelle (Defensoría del Pueblo) macht ihnen Sorgen. Sie wären dann noch schutzloser als sie es bisher schon sind.
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Roland Bangerter ist Mitarbeiter des Internationalen Versöhnungsbundes in Wien (E-Mail: ivb.rol@utanet.at)