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Ein ziemlich österreichisches Theater

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Knesebeck und Hardenberg waren zwei preußische Politiker. Wo die nach ihnen benannten Berliner Straßen aufeinandertreffen, befindet sich heute ein ziemlich österreichisches Theater.


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"In diesem heimeligen, liebevoll altmodischen Ambiente hat man ganz schnell das Gefühl ,nach Hause zu kommen", schreibt ein begeisterter Zuschauer über das Theater, das wir heute besuchen - Europas einziges vollständig erhaltenes Art-Déco-Theater.

Wäre da nicht der Vorbau, würde man an dem unscheinbaren Eckhaus mit seinem spitzen Giebeldach wohl achtlos vorübergehen. Doch schon der jugendstilige "Entenbrunnen" auf dem kleinen Vorplatz an der Straßenecke verweist auf einen besonderen Genius loci.

Der Bau dahinter war damals eine Art Vereinshaus für das "Motiv", eine Berliner Akademiker-Clique. Wo heute Theater gespielt wird, befand sich ein Kino und eine Restauration. Erst nach dem Umbau wurde es zu einer der ersten Schauspiel-Adressen Berlins. Seitdem fällt der halbrunde, zweigeschossige Vorbau schon von weitem ins Auge mit seinen fünf schlanken, über zwei Geschosse aufragenden blau leuchtenden Rundbogen-Fenstern.

Es war ein Österreicher, der das Theater gründete. Ein Österreicher baute es zu dem Juwel aus, das heute noch komplett erhalten ist. Und österreichische Bühnenkünstler - Intendanten, Regisseure, Schauspieler - prägten immer wieder Flair und Profil des Musentempels.

Die Rede ist vom "Renaissance-Theater Berlin", das der österreichische Schriftsteller Theodor Tagger am 18. Oktober 1922 mit Lessings bürgerlichem Trauerspiel "Miss Sara Sampson" eröffnete. Allerdings noch in den alten Räumen.

1926/27 wurde der gleichfalls der Donaumonarchie entstammende Architekt Oskar Kaufmann mit dem Umbau betraut. Ihm gelang ein Geniestreich: Er schuf eine Synthese von Rokoko und Expressionismus. Als Gesamtkunstwerk zeigt das Haus seinen unverwechselbaren Stil - "die rhythmische, lebendige Einheit von Winkel und Zirkelschlag, von Natürlichkeit und Künstlichkeit, von Gegenständlichkeit und Abstraktion, von Tradition und Innovation", wie es in einer Architekturkritik heißt.

Der Zuschauerraum dieses Theaters ist mit warmem, rötlichem Holz verkleidet, die Rückwand im Balkonbereich wird von einem Intarsienwandbild mit Commedia dellArte-Szenen César Kleins ausgefüllt. In ihrer Farbenpracht mit all den liebevollen dekorativen Details vermitteln Foyers, Treppen und Wandelgänge eine rokokohaft-festliche Atmosphäre. "Es ist eines der behaglichsten, künstlerisch-reizvollsten Theater geworden", schreibt das "8-Uhr-Abendblatt" 1927.

Taggers Nachfolger, Gustav Hartung feierte 1929 mit seiner Inszenierung von Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" einen Sensationserfolg. Doch staunte er selbst nicht schlecht, als er zwei Jahre später erfuhr, dass der Erfolgsautor niemand anderer war als sein Vorgänger Theodor Tagger.

Zwei weitere Perioden lang lenkten Österreicher die Geschicke der Bühne: Heribert Sasse (1980-1984) und Gerhard Klingenberg (1986-1995).

Die Besetzungsliste liest sich wie ein "Who is Who" deutschsprachiger Bühnenkunst: Tilla Durieux, Curt Goetz, O. E. Hasse, Theo Lingen, Therese Giehse, Otto Sander, Mario Adorf, Heinz Bennent und so weiter. Nicht zu vergessen Österreicher wie Helene Weigel, Paul Hörbiger, Elisabeth Bergner, Walter Schmidinger, Udo Samel, Peter Simonischek.

Das Theater bietet Unterhaltung auf hohem Niveau - überwiegend Stücke zeitgenössischer Autoren - ohne die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Erscheinungen zu scheuen.

Markus Kauffmann, seit 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.