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Ein zu Hohes Haus

Von Walter Hämmerle

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Volk und Parlament können keine Einheit sein. Versuchen sollten es die Parteien aber schon, ansonsten sehen sie ganz alt aus.


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Die Idee der Repräsentation in unserer Demokratie war schon immer dies: eine Fiktion, eine bewusst gewollte Einbildung. Allerdings nicht im Sinne der aktuell allseits beklagten "Fake News". Weil es sich bei Staatsvolk und Parlament um zwei verschiedene Staatsorgane handelt, kann es höchstens eine imaginierte Identität der beiden geben.

So gesehen gibt es keinen Volkswillen, der sich im Willen des Parlaments wiederfindet, und es kann ihn auch gar nicht geben. Überzeugte Liberale sind zudem der Ansicht, dass es eine solche Übereinstimmung auch nicht geben sollte.

So viel zu der der Demokratie zugrunde liegenden Theorie. Die Praxis ist weitaus bodenständiger und - auch das - banaler.

Je nach Wahl nimmt nur noch die Hälfte bis zu Zweidrittel der Stimmberechtigten an Abstimmungen teil. Dass es sich bei den Abwesenden tendenziell, wenn auch nicht ausschließlich um das untere Drittel unserer Gesellschaft handelt, belegen einschlägige Untersuchungen. Und dann gibt es da das Kollektiv der individuellen Abgeordneten, die sich kulturell und soziodemografisch immer weiter von diesem abgehängten Drittel entfernt.

Bedeutet diese Entwicklung, dass das untere Drittel unserer Gesellschaft auch nicht mehr politisch repräsentiert wird?

Herkunft und Stand prägen in den meisten Regeln das politische Engagement der Menschen, aber ein zwingender Zusammenhang besteht nicht. Die Gründer und prägenden Führer der Sozialdemokratie am Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Ärzte wie Viktor Adler und häufig Juristen wie Otto Bauer oder Karl Renner; Karl Marx, der einflussreichste Theoretiker des Sozialismus, studierte Recht und Philosophie und verdingte sich als Journalist.

Trotzdem gehört es zur Grundidee des Parlamentarismus, dass sich möglichst alle Bevölkerungsgruppen in der Volksvertretung wiederfinden und von ihr vertreten fühlen. Selbst ein Nationalrat mit lauter mitfühlenden, engagierten und empathischen Abgeordneten, die sich dem Wohlergehen aller und dem des unteren Drittels im Besonderen verpflichtet fühlen, aber aus lauter Vertreter der Ober- und höheren Mittelschicht besteht, ist und bleibt: ein Honoratiorenparlament des 19. in Gestalt des 21. Jahrhunderts.

Dabei spricht viel dafür, dass kulturelle Nähe (oder jedenfalls der Anschein davon) für das
(Nicht-)Wahlverhalten der benachteiligten und ärmeren Schichten der Bevölkerung weitaus wichtiger ist als programmatische Forderungen der Parteien. Wäre es andersherum, müssten den Grünen die Stimmen des abgehängten Drittels nur so zufliegen, weil sie es sind, die in der politischen Debatte am vehementesten diese vertreten.

Tatsächlich gewählt werden die Grünen aber fast überwiegend von Bürgern, die sich durch höhere Bildung und Einkommen auszeichnen.

Zwei Möglichkeiten: Entweder das untere Drittel hat sich komplett aus der politischen Debatte verabschiedet, oder aber es bewertet kulturelle Nähe, und sei es auch nur inszeniert, höher als inhaltliche Politik, zumal wenn es sich dabei noch um bloße Forderungen handelt.