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Ein Zucker ist die Schwäche des Coronavirus

Von Eva Stanzl

Wissen

Wiener Forscher entdecken die "Achillesferse" von Sars-CoV-2, die einen Ansatz für Medikamente gegen Varianten bietet.


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Ein Forschungsteam unter der Leitung des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften könnte die "Achillesferse" des Coronavirus gefunden haben. Zwei zuckerbindende Proteine hindern Sars-CoV-2 und seine Mutationen nämlich daran, in die Körperzellen einzudringen, und sie könnten helfen, den Erreger unschädlich zu machen. Die Erkenntnisse könnten variantenübergreifende Therapien gegen die pandemisch grassierende Krankheit Covid-19 ermöglichen. Das berichtet das Team um den Genetiker und Imba-Gruppenleiter Josef Penninger im Fachjournal "Embo".

In ihrer Arbeit widmeten sich die Forscher der Untersuchung von Lektinen. Lektine sind komplexe Proteine, die von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen gebildet werden. Sie binden spezifisch an unterschiedliche Glucane. Diese Zuckermoleküle in chemisch komplexer Verkettung haben wenig mit Schokolade, Torte und Lollies zu tun. Vielmehr handelt es sich um stabile Informationsträger, die auf den Zellen sitzen und dort Stoffwechselvorgänge wie etwa die Zellteilung oder deren Verklumpung, aber auch das Immunsystem beeinflussen.

Zuckerhülle als Versteck

Glucane sitzen außerdem auf Krankheitserregern wie Sars-CoV-2. "Sie können von Lektinen erkannt und gebunden werden. Manchmal nützen Krankheitserreger das aus, um sich hinter den Zuckermolekülen vor dem Immunsystem zu verstecken", sagt Stefan Mereiter, Co-Erstautor und Postdoktorand in Penningers Labor, zur "Wiener Zeitung". Sars-CoV-2 versteckt sich somit vor den Abwehrkräften des Körpers unter einer Zuckerhülle.

Doch welche Lektine wären in der Lage, das Täuschungsmanöver zu erkennen, sich an die süße Schutzschicht zu binden, diese zu durchbrechen und den Erreger auf frischer Tat zu ertappen? Mit dem Ziel, das Virus zu neutralisieren, stellten die Forscher sich genau diese Frage. Insbesondere untersuchten sie die Glucane des Spike-Proteins, das eine Schlüsselfunktion im Krankheitsgeschehen einnimmt.

Mit seinem charakteristischen Spike-Protein knackt das Coronavirus das Schloss zu den Körperzellen, um einzutreten und sie zu zwingen, es zu vermehren. Zusammen mit einem Team der Universität Linz untersuchten die Imba-Forscher diese Interaktionen im Detail. "Die Lektine, die wir identifiziert haben, binden an essenzielle Stellen des Spike-Proteins. Wir versuchten, sie so einzusetzen, dass sie eine Infektion verhinderten. Das gelang, indem wir das Lektin als blockierendes Werkzeug nutzten", erklärt Mereiter. Das erfreuliche Ergebnis: "In Modellen mit humanen Lungenzellen konnten wir die Infektion reduzieren."

Das Schlüsselloch verkleben

Die blockierenden Lektine wurden an das virale Spike-Protein gebunden. Dadurch dockte das Virus mit weniger Treffsicherheit an die Zellen an, drang nicht mehr so leicht in sie ein und konnte sie nicht mehr so effizient infizieren. "Wenn das Spike-Protein der Schlüssel ist, sind die Lektine der Kaugummi, der den Öffnungsmechanismus verklebt. Der Schlüssel funktioniert nicht mehr, wenn die Lektine draufsitzen", erklärt der Molekularbiologe.

Doch warum könnte gerade dieser Mechanismus das Coronavirus in die Knie zwingen? "Die Glucane, die auf dem Spike-Protein sitzen, sind derart wichtig für es, dass es sie nicht verlieren möchte", erläutert der Forscher.

Alle möglichen Dinge ändern sich laufend im Spike, doch die Glykosylierungsstellen bleiben erhalten. Denn die Glycane sind entscheidend dafür, dass sich das Spike-Protein überhaupt richtig falten, sich also richtig anordnen und somit richtig im dreidimensionalen Raum verhalten kann. Würde man sie aus dem Spike-Protein entfernen, wäre der gefährliche Zacken funktionslos. "Dieser Mechanismus könnte in der Tat die Achillesferse des Coronavirus sein, auf die die Wissenschaft schon lange gewartet hat", betont Mereiter. Und da Glucane stärker erhalten bleiben als andere Stellen auf dem Zacken, "haben wir mit der blockierenden Wirkung der Lektine etwas in der Hand, das bei verschiedenen Mutanten wirken kann".

Bis zur medizinischen Anwendung liegt allerdings noch ein weiter Weg vor den Forschern. "Es gibt ja bereits verschiedene Werkzeuge, etwa können gewisse Antikörper das Spike-Protein blockieren. Lektine reihen sich ein als weitere Möglichkeit, es ist aber noch ein weiter Weg bis zum klinischen Kontext", sagt er.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das von Penninger gegründete Unternehmen Apeiron Biologics in Wien. Auch sein Medikament APN01 verklebt das Schlüsselloch. Mit dem Spike-Protein dockt Sars-CoV-2 nämlich an den Rezeptor ACE2 an. Normalerweise versorgt dieses Oberflächen-Eiweiß die Zellen mit Nährstoffen. Das Coronavirus schleicht sich huckepack mit dem Rezeptor ein. Das Medikament ist eine biotechnologisch hergestellte, lösliche Form des Rezeptors, die die Pforte vernebelt.

"APN01 bietet dem Virus zehntausende zusätzliche Türen, die das Schloss nicht öffnen. Dadurch findet der Erreger das richtige Tor nicht mehr. Es trickst das Virus aus, indem es vorgibt, der Rezeptor zu sein", erklärte Penninger die medikamentöse Verwirrungstaktik in einem Interview mit der "Wiener Zeitung".

Bei den Lektinen handle es sich, anders als beim Medikament, um natürlich vorkommende Substanzen in Säugetieren.

Das mögliche Covid-19-Medikament von Apeiron wird derzeit klinisch getestet. Nachdem eine Studie, in der man es Patienten intravenös verabreichte, nicht ausreichend überzeugen konnte, soll APN01 zur Verabreichung mittels Inhalation in Patientenpopulationen untersucht werden. Der Start der unternehmensfinanzierten Inhalationsstudie ist laut Apeiron für Herbst geplant.