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"Ein Zurück gibt es nicht"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Grundsatzrede von EU-Wahlen im kommenden Jahr geprägt.


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Brüssel/Straßburg. Es könnte eine Routinevorstellung gewesen sein. Zum vierten Mal schon trat Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor das EU-Parlament, um eine Grundsatzrede zu halten. Und einmal mehr drängte er zu größerer europäischer Solidarität sowie zur Umsetzung gemeinsam vereinbarter Reformen; betonte er die Notwendigkeit, den Menschen wieder stärkeres Vertrauen in die Union und deren Institutionen zu geben.

Dennoch unterschied sich dieser Auftritt von den vorhergehenden gleich mehrfach. So zeigte sich Barroso optimistischer als noch im Vorjahr. Dabei konnte er auf die Anzeichen von wirtschaftlichem Aufschwung hinweisen, die sich nach Jahren der Rezession in der Eurozone zeigen.

Anders als zuvor kündigte der Portugiese aber keine neuen Gesetzesinitiativen an. Er sprach lediglich ein Paket von Neuregelungen für den Telekommarkt an, über das seit Wochen debattiert wird und das die zuständige Kommissarin Neelie Kroes heute, Donnerstag, offiziell präsentiert.

Barrosos Zurückhaltung mag damit zusammenhängen, dass die Rede vielleicht seine letzte vor den Abgeordneten in Straßburg in dieser Funktion war. Und gewiss war so mancher Mandatar zum letzten Mal Zuhörer an dieser Stelle. Im kommenden Frühling wird nämlich ein neues EU-Parlament gewählt, danach fällt die Entscheidung über die Zusammensetzung der nächsten Kommission. Die könnte sich später an die leicht selbstkritischen Worte Barrosos erinnern, der einräumen musste, dass die Behörde bei Regulierungen manchmal Übereifer an den Tag lege. Denn nicht jedes Problem brauche eine europäische Lösung; nicht überall müsse sich die Union einmischen. "Die EU muss groß sein bei großen Dingen und klein bei kleinen Dingen", stellte Barroso fest.

"Neue Normalität"

Ein Umdenken forderte er auch woanders ein. Ein "Zurück zur Normalität" gebe es nämlich nach der ökonomischen Krise nicht. Wer denke, alles könne wieder weitergehen wie zuvor, liege falsch. Daher sei eine "neue Normalität" nötig. Die sich abzeichnende Erholung dürfe die Länder nicht von ihren Bemühungen um Haushaltsdisziplin abhalten.

Doch fällt es etlichen Staaten schwer, die nicht zuletzt von der Kommission verordneten Sparprogramme zu erfüllen - zumal immer mehr ihrer Bürger von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Nur unter Mühen geht auch die Stärkung der Wirtschaftsunion voran. So stocken trotz einer Einigung über die Bankenaufsicht die Vorbereitungen für eine Bankenunion, deren Schaffung Barroso erneut als ein zentrales Anliegen der Gemeinschaft bezeichnete. Das Zögern geht unter anderem von Deutschland aus, das Einwände bei der Einrichtung eines gemeinsamen Fonds zur Abwicklung von Banken und bei einer europäischen Haftung für die Schulden eines EU-Mitglieds hat. Am Wochenende wollen sich die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen in Vilnius mit dem Thema befassen. Bewegung in der Debatte wird es vor der Bundestagswahl in der kommenden Woche aber sowieso kaum geben.

Dass aber Deutschland weiterhin nicht umhinkommen werde, den schwächeren Mitgliedern zu helfen, wollte Barroso schon jetzt betonen - wenn auch ohne Berlin explizit zu erwähnen. Es gebe eine direkte Verbindung zwischen den Banken eines Landes und den Schulden eines anderen, zwischen den Investitionen des einen und den Geschäften des anderen. "Wir sitzen alle im gleichen Boot", meinte Barroso. Da könne dann niemand sagen: "Dein Ende des Bootes sinkt."