Zwillinge, die sich die höchsten Ämter im Staat teilen, eine Koalition aus Konservativen und Rechtsnationalen, antisemitische und homophobe Töne aus dem Mund von Regierungspolitikern - mit positiven Schlagzeilen fällt Polen derzeit nicht gerade auf. Doch dass der erste Vers der Landeshymne, "Noch ist Polen nicht verloren", bald nur noch Liedgut ist, daran wollen auch die größten Pessimisten nicht glauben.
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Denn so überraschend die Schnelligkeit des Wechsels an der polnischen Regierungsspitze auch war, so naheliegend war auch die Wahl des Nachfolgers des Premiers. Der Vorsitzende der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bei der Parlamentswahl im September die meisten Stimmen erhalten hatte, wurde mit der Regierungsbildung beauftragt. Das in Europa einzigartige daran: Der Auftrag des Staatspräsidenten Lech Kaczynski ging an seinen Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski.
Mit Nervosität hatten Kommentatoren im Ausland - und Wirtschaftskreise - bereits auf die erste PiS-Regierung und später die Koalition mit den radikalen rechtsnationalen Parteien Samoobrona und Liga der Polnischen Familien reagiert. Mehr Selbstbewusstsein gegenüber den Nachbarstaaten und verstärkten Kampf für "nationale Interessen" hatten die Kaczynski-Brüder schon im Wahlkampf versprochen. Von Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit hingegen war kaum die Rede.
Zwischen Wahlkampfversprechen und Realität des Regierens wissen die Zwillinge allerdings gut zu unterscheiden. Seit dreißig Jahren sind sie in der Politik tätig, gemeinsam gründeten sie zwei Parteien, Lech Kaczynski war Staatsminister in der Kanzlei von Präsident Lech Walesa, später Justizminister. Als Stratege, der auch für den Erfolg seines Bruders bei der Präsidentschaftswahl im Oktober des Vorjahres mitverantwortlich zeichnet, gilt aber Jaroslaw Kaczynski. Dieser blieb auch der starke Mann im Hintergrund, als er im Herbst auf das Amt des Premiers verzichtete und Kazimierz Marcinkiewicz vorschlug.
Mag sein, dass der als gemäßigt geltende Marcinkiewicz den ehrgeizigen Kaczynski-Brüdern zu eigenständig wurde. So sprach er einige Postenbesetzungen nicht ab. Auch bringen polnische Medien den Neid-Faktor ins Spiel: Von einem einer breiten Öffentlichkeit unbekannten Berater wandelte sich Marcinkiewicz zum beliebtesten Politiker Polens.
Die Machtakkumulation innerhalb einer Familie dürfte aber auch den meisten Polen nicht geheuer sein. Laut einer Umfrage der Zeitung "Gazeta Wyborcza" befürchten 60 Prozent der Menschen negative Folgen für ihr Land. Nur 21 Prozent erwarten, dass Jaroslaw Kaczynski ein guter Premier sein wird.
Von seinem Bruder Lech können ihn jedenfalls die wenigsten unterscheiden - höchstens durch ein Muttermal an der Wange weniger und den fehlenden Ehering. Jaroslaw Kaczynski ist unverheiratet und wohnt bei seiner Mutter.