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Skepsis ist gut, zu viel davon schadet. | Das belastet auch Therapiekonzepte. | Wien. Beipacktexte müssen und sollen möglichst gründlich über Wirkungen und Nebenwirkungen informieren - kann ja sein, dass der Arzt bei der Verschreibung eines Medikaments eine Unverträglichkeit des Patienten übersehen hat. Für eine zunehmend größer werdende Zahl von Menschen ist dies freilich fatal: Sie interessieren sich ungleich weniger für die Wirkung als noch für die seltensten potenziellen Nebenwirkungen - und klagen prompt über unspezifische Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Magenbeschwerden, Durchfall oder Schwindel, falls sie das Mittel überhaupt einnehmen.
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Fachleute wie Uwe Gessner (Bayer Vital GmbH Deutschland) kennen dies als Nocebo-Effekt, faktisch die andere Seite des bekannteren Placebo-Effekts, durch den Menschen positiv beeinflusst werden, während Nocebo Ausdruck einer negativen Grunderwartung ist, die quasi zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Dazu können u. a. erheblich beitragen: Pessimismus und Ängstlichkeit, schlechte Erfahrungen mit früheren Medikamenten sowie ein vom Arzt oder den Medien negativ vermitteltes Bild.
Aspirin, "Elektrosmog"
Der Nocebo-Effekt ist durch eine Fülle von Studien belegt. Bei Arzneien - und zwar selbst so harmlosen wie Aspirin - zeigte sich, dass allein die Art, in der nach Nebenwirkungen gefragt wurde, einen bedeutenden Einfluss hatte - je nach Befragungsmuster klagten bis zu doppelt so viele Probanden darüber.
Die selben Muster zeigten sich bei den diversen bekannten "Elektrosmog"- Untersuchungen: Menschen, die über gesundheitliche Beschwerden durch Mobilfunkanlagen klagten bzw. sich als sensibel gegen elektromagnetische Felder etc. bezeichneten, litten bei Experimenten an Kopfschmerzen, Übelkeit, grippeähnlichen Symptomen, schwitzten stark und wiesen eine erhöhte Herzfrequenz auf (etliche mussten den Test wegen massiver Beschwerden sogar vorzeitig abbrechen) - und zwar lediglich infolge der Vorstellung, dass sie für einige Zeit einer (tatsächlich nicht gegebenen) Antennenstrahlung ausgesetzt seien. Ähnliches gab es schon früher mit elektrischem Strom, der bei einem Gros der Probanden prompt die angekündigten "möglichen" Kopfschmerzen auslöste, obwohl er gar nicht in Betrieb war.
So weit reichte der Nocebo-Effekt sogar, dass einigen Patienten im Zuge einer klinischen Studie eines Chemotherapeutikums die Haare ausfielen, obwohl sie in der Placebo-Vergleichsgruppe waren, das Mittel also nicht bekommen hatten.
Alternativmedizin
Angst vor "schädlicher Chemie" in hoch wirksamen Medikamenten oder der "gefährlichen Gentechnik" in der Landwirtschaft - häufig durch unreflektierte Behauptungen und Indoktrination diverser Lobbys erzeugt oder unterstützt - darf auch dem Nocebo-Effekt zugeschrieben werden. Die Folgen der ausgeprägten Skepsis gefährden vernünftige Therapiekonzepte, da sich die Betroffenen lieber der sogenannten Alternativmedizin wie etwa der Homöopathie zuwenden oder unbekömmliche Nahrungsmittel zu sich nehmen.
Einen Nocebo-Effekt könnte es auch für Raucher und Passivraucher geben, nämlich wenn sie die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen allzu ernst nehmen und just deshalb an Krebs erkranken.