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Wissenschaftlich fundierte Ausstellung auf Walter Benjamins Spuren in der Wiener Akademie der bildenden Künste.
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Wien. Links eine Fototapete mit Bildern von Mauern, auf dem Boden Fotos von Straßenszenen. So empfängt einen der erste Raum der Ausstellung "Atlas von Arkadien" in der Wiener Akademie der bildenden Künste. Die Schau setzt ein gleichnamiges, vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt als Fragmente einer Sozialgeschichte in Bildern um - gestaltet von den Künstlerinnen Anna Artaker und Meike S. Gleim. Vorbild für ihr Verfahren, mit Bildmontagen die gesellschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zu analysieren, ist das erst 1982 posthum publizierte "Passagen-Werk" des deutschen Philosophen und Kulturtheoretikers Walter Benjamin (1892-1940).
Wie Benjamin in seinem Werk fast ausschließlich mit Zitaten und kaum eigenen Kommentaren eine Geschichte des 19. Jahrhunderts "montierte", präsentieren Artaker und Gleim die jüngere Geschichte, indem sie Bilder - klug ausgewählt und mit genauen Quellenangaben versehen - als "autonome Analyseinstrumente" sprechen lassen. Dabei knüpfen sie bewusst an Inhalte an, die schon Benjamin wichtig waren. So weist der "Straßenteppich" am Beginn - 28 in drei Gruppen auf dem Boden arrangierte Plakate - auf die "Haussmannisierung" von Paris hin. Man erweiterte und begradigte damals die Straßen, um das Errichten von Barrikaden zu erschweren und den Aufmarsch von Truppen zu erleichtern. Doch heute sammeln sich weltweit Demonstranten und Protestbewegungen gerade auf so großen freien Flächen. Die Fototapete "Bollwerk" (davon leitet sich das französische Wort Boulevard ab) weist auf Grenzen und Zäune, aber auch auf deren Umgehung und Überwindung (etwa den Fall der Berliner Mauer 1989) hin.
Im nächsten Raum zieht ein als geodätische Kuppel - populär in der Hippie-Zeit - konstruiertes "Georama" die Blicke auf sich. Auf die Innenseite der Halbkugel ist eine aus Satellitenaufnahmen zusammengesetzte Animation der Erde bei Nacht projiziert. Unter dem Titel "Künstliche Sonnen, Monde und Sterne" zeigt daneben ein Vorhang 46 zueinander in Beziehung stehende Schwarzweißbilder. Dabei geht es auch um die Spannung zwischen hervorhebendem Rampenlicht und überwachendem Suchscheinwerfer.
Faszinierende Parallelität
Die nur durch Gucklöcher wahrnehmbare Videoprojektion "Reclamare" stellt Werbebildern Werke aus der Kunstgeschichte und Pressefotos gegenüber, manchmal wie die sprichwörtliche Kehrseite der Medaille. Originelle Bildpaare in Puzzleform, durch den Austausch von Puzzleteilen verknüpft, greifen als "Pendants" Benjamins Kapitel "Eisenkonstruktion" auf und faszinieren durch die Parallelität architektonischer Formen aus ganz verschiedenen Epochen.
"Domino" heißt die Reihe sehr unterschiedlicher Bildkarten im letzten Raum, wobei sich auf der benachbarten Karte jeweils ein Objekt - ob Fahrrad oder Toilette, Schirm oder Ofenrohr, Zeltdach oder Schaukelstuhl - wiederfindet.
Die Ausstellung ist wie Aldous Huxleys Buch "Schöne neue Welt" ironisch betitelt. Mit dem naturbelassenen, friedlichen, idyllischen Arkadien antiker Vorstellung hat unsere virtuelle, von Gewalt und Kommerz geprägte Welt wenig gemein. Fazit der Schau: Das Ringen um Fortschritt ist da, führt aber nicht zum Paradies auf Erden.