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Das österreichische Vorgehen gegen die Affenpocken ist im Vergleich zu anderen Ländern in Europa zögerlich.
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Die Affenpocken sind nicht neu. In West- und Zentralafrika kursieren sie seit den 1970er Jahren und gelten dort mittlerweile als endemisch. In Europa traten nur vereinzelt Fälle auf, diese waren Reiserückkehrer aus den betroffenen Gebieten. Im Mai dieses Jahres hat sich das allerdings geändert. Nach und nach meldeten europäische Staaten ein vermehrtes Auftreten der Krankheit. In Österreich wurden laut Zahlen der Ages zwischen dem 9. Mai und dem 19. August 217 Affenpockenfälle registriert, 63 davon gelten bereits als genesen.
Zwar sind bei einer guten Gesundheitsversorgung kaum Todesfälle zu erwarten, doch die Symptome, die normalerweise zwei bis vier Wochen andauern, sind extrem unangenehm: Hohes Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen sowie einen sehr schmerzhaften Hautausschlag nennt das Gesundheitsministerium etwa auf seiner Website. Auch schmerzende, stark geschwollene Lymphknoten seien ein eindeutiges Warnzeichen, durch das sich die Affenpocken von anderen Krankheiten auch von Laien unterscheiden lassen, sagt der österreichische Virologe Norbert Nowotny. In Einzelfällen kann es allerdings auch zu schweren Komplikationen, etwa zum Erblinden, kommen.
Die WHO schätzt, dass derzeit außerhalb Afrikas 98 Prozent der Affenpocken-Fälle Männer betreffen, die Sex mit häufig wechselnden, männlichen Sexualpartnern haben. Nowotny schränkt die Gruppe der Betroffenen noch weiter ein: Der Großteil sei jung, etwa zwischen 20 und 40 Jahre alt. Ältere seien noch durch die bis 1981 verpflichtende Impfung gegen die Pocken zu rund 85 Prozent auch gegen Affenpocken geschützt.
Eindämmung kann noch gelingen
Wieso gerade Männer, die Sex mit Männern haben (die Bezeichnung ist treffender als etwa Homosexuelle und wird deshalb auch von der WHO verwendet) so stark betroffen sind, ist noch nicht vollständig geklärt. Der Ausbruch in Europa dürfte seinen Ursprung bei einer Gay-Pride-Veranstaltung auf Gran Canaria genommen haben. Menschen aus verschiedenen Ländern dürften sich dort angesteckt und das Virus mit in ihre Heimat gebracht haben. Damit könnte es sich laut Nowotny um "Pech" handeln, dass sich das Virus vor allem in dieser Gruppe verbreiten konnte.
Denn normalerweise, so der Virologe, sei sexueller Kontakt nicht die Hauptübertragungsart von Pockenviren. Das Virus wird einerseits über Kontakt mit Körperflüssigkeiten oder etwa dem hochinfektiösen Inhalt der Pusteln übertragen, andererseits auch über Tröpfcheninfektion bei langen, nahen Kontakten. Eine Info-Broschüre des Gesundheitsministeriums nennt als Richtwert eine Dauer von drei Stunden mit einem Abstand von weniger als zwei Metern.
"Das Allerwichtigste ist, diese besonders gefährdete Gruppe gezielt zu informieren und aufzuklären", sagt Nowotny, "und zwar so rasch wie möglich." Wenn das gelingt, könne man den Ausbruch "kurz- bis mittelfristig in den Griff bekommen". Wenn nicht, würde das Virus wohl über die verschiedenen Übertragungswege über kurz oder lang in breite Bevölkerungsgruppen hineingetragen werden - und wäre wesentlich schwieriger einzudämmen.
Für gefährdete Personen ist es deshalb besonders wichtig, einen Überblick über ihre engen - nicht nur sexuellen - Kontakte der vergangenen drei Wochen zu bewahren, sodass diese im Ernstfall kontaktiert werden und sich entsprechend verhalten können. Denn die Inkubationszeit, also die Zeitspanne zwischen der Infektion und dem Ausbruch erster Symptome, kann bis zu 21 Tage betragen. Ansteckend sind Erkrankte in dieser Zeit noch nicht.
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Zielgruppenspezifische Kampagnen geplant
Um zur Aufklärung beizutragen, plant das Gesundheitsministerium jedenfalls eine zielgruppenspezifische Infokampagne "unter Einbeziehung aller wichtigen Stakeholder". Details über den Inhalt oder die Form der Kampagne nennt das Ministerium auf Nachfrage nicht. Auch der Startzeitpunkt stehe noch nicht fest, sagt eine Sprecherin, in einigen Wochen soll es aber so weit sein. Bis dahin verweist das Gesundheitsministerium auf Informationsangebote auf seiner Website.
Zielgruppenspezifische Aufklärung habe nichts mit Stigmatisierung zu tun, sagt Helmut Graupner, Präsident des Rechtskomitees Lambda, das Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert werden, kostenlose Rechtsberatung anbietet. "Wenn eine bestimmte Bevölkerungsgruppe von einer Krankheit besonders betroffen ist, ist es nichts Böses, diese gezielt zu informieren", betont er. "Es hilft nicht, wenn man das unter den Teppich kehrt." Allerdings bestehe natürlich die Gefahr, dass etwa durch entsprechende Berichterstattung "die Affenpocken so wie HIV in den 1980er Jahren zur Hetze gegen Homosexuelle verwendet werden", sagt Graupner. Diese Gefahr bestehe immer, wenn eine Krankheit vorrangig eine bestimmte Gruppe betrifft.
Erst wenige Impfungen verabreicht
Abgesehen von Informationsangeboten ist die Impfung die zweite Waffe im Kampf gegen die Affenpocken. Für eine großflächige Impfkampagne ist aber weltweit schlicht zu wenig Impfstoff vorhanden. In Österreich werden deshalb abgesehen von Labormitarbeitern, die mit dem Virus arbeiten, vorerst Menschen nur postexpositionell, also nach einer möglichen Ansteckung geimpft. Denn wird die Impfung in einem frühen Stadium der Krankheit verabreicht, kann sie diese noch abblocken. 36 Impfdosen wurden mit Stand 16. August im elektronischen Impfpass dokumentiert. 4.340 Dosen stehen in Österreich bisher zur Verfügung, laut Gesundheitsministerium "laufen Bemühungen, weitere Dosen zu beschaffen". Sobald ausreichende Mengen des Vakzins zur Verfügung stehen, werden - so die Empfehlung des Nationalen Impfgremiums - auch Mitarbeiter des Gesundheitspersonals, die Kontakt zu Infizierten haben, geimpft werden können sowie Menschen mit einem hohen individuellen Risikoverhalten noch vor einer möglichen Ansteckung.
Zögerliche Impfstoffbeschaffung
Graupner kritisiert, dass Österreich in der Impfstoffbeschaffung zu zögerlich vorgegangen sei. Auch wenn es in ganz Europa Engpässe beim Impfstoff gibt, haben andere europäische Länder wie beispielsweise Spanien, Frankreich, Deutschland oder Großbritannien bereits größere Kontingente angeschafft und begonnen, die im Moment besonders gefährdeten Männer auch ohne Kontakt zu Infizierten zu immunisieren. Graupner weiß von mehreren Österreichern, die sich im Ausland haben impfen lassen. "Es ist doch eine Schande, dass österreichische schwule oder bisexuelle Männer oder andere, die sich schützen möchten, nach Deutschland oder Frankreich fahren müssen", sagt Graupner, der das österreichische Vorgehen gegen die Krankheit als "zu gemütlich" bezeichnet.
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"Es darf nicht der gleiche Fehler wie bei Aids passieren, dass man die Krankheit ignoriert, weil es ‚eh nur die Schwulen’ trifft", sagt Graupner. Gerade bei HIV habe man gesehen, dass das Virus zwar zuerst vor allem unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualpartnern aufgetreten ist, sich dann aber in der Gesamtbevölkerung ausbreiten konnte.
Eine gute Nachricht gibt es aber: Dass der Erreger der Affenpocken ähnlich wie das Coronavirus mutiert und dadurch ansteckender wird, ist laut Nowotny äußerst unwahrscheinlich. Pockenviren sind normalerweise "sehr stabile Viren".