Der kleine Wahlsonntag in den deutschen Bundesländern Niedersachsen und Hessen hat drei Trends klar bestätigt: Die Menschen wählen immer mehr die Persönlichkeiten statt der Parteien. Die SPD kommt aus ihrer Talsohle nicht heraus. Die Linke, die zum Teil aus der SED hervorgegangen ist, kann sich als gesamtdeutsche Partei fühlen.
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Seit die Christdemokraten in Berlin die Hauptverantwortung für die Regierung tragen, weht auch ihnen der Wind teilweise ins Gesicht. Die Zeiten, wo man aus der rot-grünen Malaise Kapital schlagen konnte, sind vorbei. Auch wenn man Ergebnisse von Landtagswahlen immer nur sehr bedingt auf Bundesebene umlegen darf, kann die CDU in beiden von ihr regierten Ländern die beachtlichen Verluste nicht wegreden.
Dennoch sind die Zahlen nur bei kurzsichtiger Betrachtung so spektakulär. Denn in beiden Ländern haben seit dem letzten Krieg die meiste Zeit SPD-Ministerpräsidenten regiert. Beides sind klassische SPD-Domänen - gewesen.
Während aber in Niedersachsen weiterhin eine bürgerliche Mehrheit besteht - CDU und FDP kommen gemeinsam auf fast 51 Prozent und können problemlos weiter koalieren -, reicht es dafür in Hessen nicht mehr.
Entgegen der rauschhaften Selbsthypnose hat die SPD bei näherem Hinsehen einen schwarzen Sonntag erlebt: In Niedersachsen hat sie das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Landes eingefahren und selbst in dem so bejubelten Hessen nur das zweitschlechteste.
Hessen war einmal eine sozialdemokratische Hochburg, in der die SPD 49 Jahre lang das Ruder in der Hand hielt. Ihre Durchschnittswerte lagen bei satten 48 Prozent, in Hochzeiten sogar bei bayerisch anmutenden 51 Prozent. Dass am Sonntagabend bei mageren 36,7 Prozent in der SPD euphorischer Jubel ausbrach, lag also weniger an den objektiven Daten, sondern an dem dringenden Bedürfnis der Basis, nach einer endlosen Serie von Wahlverlusten endlich wieder einmal den Kopf aus dem Wasser halten zu dürfen. "Die Sozialdemokratie ist wieder da", lautete denn auch die selbstaffirmative Formel, auf die Frau Ypsilanti das Wahlergebnis brachte. Etwas zu voreilig, wie sich nach der Auszählung herausstellte. Alte Politik-Hasen wie Koch waren da zurückhaltender und schlauer: Nicht Prognosen und Hochrechnungen zählen, sondern Wahlergebnisse. Diese Binsenweisheit bestätigte sich wieder einmal eindrucksvoll in Hessen.
Der politische No-Name Andrea Ypsilanti hatte zwar eine wilde, verwegene Jagd hingelegt, am Ende aber reichte es nicht einmal für die stärkste Partei im Lande, obwohl Roland Koch und seine CDU mit rund 12 Prozent seine absolute Mehrheit verlor.
So vorschnell die Siegesfeier, so vorschnell waren sowohl Ypsilantis als auch des Parteichefs Kurt Beck Interpretationen. Die "soziale Gerechtigkeit" habe gesiegt. Tatsache aber ist, dass weder die Arbeiter noch die Arbeitslosen, ja nicht einmal die Rentner zu den Gewinnen der Sozialdemokraten wesentlich beigetragen haben. Hier halten sich die Zuwächse in der 1-Prozent-Zone auf (während sie im Landesschnitt 7,6 Prozent betrugen).
Die Bündnis-Grünen sind mit einem blauen Auge davongekommen, in Hannover haben sie marginal (0,4 Prozent) zugelegt, in ihrem Stammland und der Heimat Joschka Fischers aber fast 3 Prozent verloren - trotz dessen massiven Auftrittes im Wahlkampf.
Die FDP lächelt zufrieden, weil sie nun in beiden Ländern die drittstärkste Kraft ist. Im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl, wo sie sich einen Wechsel der Union von der SPD hin zur FDP erhofft, spricht sie - mit Recht - davon, dass es ohne sie keine bürgerliche Mehrheit geben könne.
Eindeutiger Gewinner des 27. Jänner aber sind die Linken. Gregor Gysi, bisher eher Schreckgespenst in der westlichen Arbeiterschaft, konnte triumphierend in den Medien verkünden, dass sich die Linke gleich in zwei westdeutschen Ländern etablieren und sich damit als gesamtdeutsche Partei profilieren konnte. Deutschland werde sich dauerhaft auf ein Fünf-Parteiensystem einstellen müssen.
Da es in Hessen weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reicht, bleiben nur Kombinationen, die bisher von einem der jeweiligen Partner kategorisch abgelehnt wurden. Ypsilanti will keinesfalls mit der Linkspartei kooperieren. Ob sie sich mit deren Stimmen zur Chefin eines Minderheitenkabinetts wählen lässt, ließ sie noch offen. Doch auch dies wäre für sie ein riskantes Unterfangen, denn ihr größter Bonus in der zurückliegenden Wahlbewegung war ihre Glaubwürdigkeit, die die Wähler weit höher einschätzten (31 Prozent) als die von Koch (19 Prozent). Die FDP hingegen, die gleichfalls Zünglein an der Waage sein könnte, will keineswegs mit Frau Ypsilanti zusammengehen. Bleiben alle bei ihren Positionen, sind vorgezogene Neuwahlen nicht auszuschließen.
Fazit: Wahlentscheidend waren nicht irgendwelche Politthemen, sondern die höchst unterschiedlichen Sympathiewerte für das Spitzenpersonal. Die CDU schrumpft ein wenig auf ihr strukturelles Normalmaß, in beiden Ländern steht eine langwierige Basisarbeit auf der Tagesordnung. SPD und Grüne haben auf der linken Flanke bundesweit einen neuen Mitspieler. Ob der auf Dauer Mehrheiten links der CDU verhindert oder, wie in Berlin, ermöglicht, wird sich in dieser Legislatur entscheiden. Spätestens in der nächsten werden Schamgrenzen gegenüber der SED-Nachfolgerin fallen. Die Lager sind deutlicher definiert als vordem, weil sich die FDP mindestens bis zur nächsten Bundestagswahl auf die Union festgelegt hat.
Ob das Reformtempo in Berlin durch die Wahlkämpfe nachhaltig gebremst wird, bleibt offen. Ebenso, wie sich der Ton in der Großen Koalition entwickeln wird. Hier könnte man optimistisch sein, wenn die Botschaft des Wahlsonntags von beiden Partnern verstanden würde: Ruhige Sachlichkeit kommt besser an als fahrige Polterei.