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Eine alternde Gesellschaft sucht neue Wege

Von Monika Jonasch

Wirtschaft

Europas Bevölkerung schrumpft und wird immer älter. Bereits 20 Prozent aller Europäer sind heute über 60 Jahre alt. Ab 2005 wird in Österreich der arbeitende Teil der Bevölkerung jedes Jahr kleiner. Das wirkt sich auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus. Über Möglichkeiten dieser bedrohlichen Entwicklung zu begegnen, wird derzeit intensiv nachgedacht. Die "Wiener Zeitung" gibt einen Überblick über Denkansätze und mögliche Szenarien für die Gesellschaft von morgen.


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"Die Überalterung der Gesellschaft ist nicht nur ein europäisches Problem. In Japan ist es sogar noch schlimmer und auch die USA können die Überalterung nur abfedern, weil sie eine relativ hohe Einwanderungsquote haben", weiß Karlheinz Steinmüller, Demographiespezialist vom deutschen Forschungsinstitut "Z_punkt".

Europa verliere etwa ein Drittel seiner Bevölkerung in jeder Generation, weil die Europäer immer weniger Kinder bekommen, so Steinmüller.

Auswirkungen auf die Wirtschaft werde dies in vielfacher Hinsicht haben, glaubt er. So seien ältere Mitarbeiter durchschnittlich weniger risiko- und lernfreudig und stellten sich weniger gerne dem Wettbewerb. Daraus folge vermindertes Wirtschaftswachstum in den überalterten Ländern. Auch die Steuerleistung vermindere sich, da ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung in den Steuertopf einzahle. Das erhöhe den Druck auf die Budgetpolitik der Länder.

"Es gibt kein langfristiges Wachstum in einer schrumpfenden Bevölkerung", warnt Steinmüller. Die Zukunft aber nur noch in düsteren Farben zu malen, das will der Demograph jedoch nicht. "Die wahre Katastrophe ist nicht, dass wir Europäer immer älter werden, sondern dass wir nicht genug in die Ausbildung der Jungen investieren", so Steinmüller. Um am immer wettbewerbsintensiveren Weltmarkt mithalten zu können, sei aber die beste Ausbildung gerade ausreichend.

Neue Modelle für Arbeit und Ruhestand gefragt

"Europa braucht neue Arbeitsmodelle. Die Grenze zwischen Arbeit und Ruhestand muss aufgehoben werden", fordert Steinmüller. Nur dann könnten ältere Mitarbeiter zu einer wichtigen Ressource für die Unternehmen werden. Der Weg dorthin führe über Jobrotation, lebenslanges Lernen, mehr Flexibilität von Arbeitnehmern und Unternehmen sowie bewusst altersmäßig durchgemischte Arbeitsteams. "Wir müssen die Generation 50plus als soziale Ressource entdecken und neue Denkansätze für unsere Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt entwickeln", fordert Steinmüller. "Europa hat einst Sozialmodelle wie den Wohlfahrtsstaat erfunden und exportiert. Nun kommen neue Gesellschaftsmodelle herein und wir müssen sie umsetzen."

Alternativen sieht er dazu keine, müsse sich das alternde Europa doch dem Wettbewerb mit dem - noch - wesentlich jüngeren China stellen. "Auch die Chinesen werden mit dem Problem der Überalterung zu kämpfen haben, das wird aber erst etwa um 2030 sein. Dann wirkt sich dort die Politik der Ein-Kind-Familie erstmals negativ aus. In Europa haben wir dem gegenüber eine wesentliche Chance: Wir waren reich bevor wir alterten und haben so die Möglichkeit als Erste diese Umstellung zu bewältigen."

Mögliche Szenarien der Gesellschaft von Morgen

Die Suche nach Orientierung angesichts gesellschaftspolitischer Unsicherheit wird die sozialen Beziehungen umstülpen. Netzwerk-Denken löst den Hyper-Individualismus ab, die "Ich-AG" ist am Ende. Die Gewichte der alternden Gesellschaft verschieben sich, neue, konservative, Werte lösen jene der gegenwärtigen Spass-Gesellschaft ab. - So könnte die Zukunft laut dem "Zukunftsbarometer 2011/2025" aussehen. Diese Studie, die im Auftrag der Industriellenvereinigung (IV) vom Zukunftsbüro erstellt wurde, skizziert Szenarien, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln könnte. "Agenten des Wandels" würden demnach vor allem zwei Gruppen der Bevölkerung sein: die immer besser ausgebildeten Frauen und die alternden, sogenannten "Baby-Boomer" der 60er Jahre.

Frauen könnten angesichts niedriger Geburtenraten und dem Schrumpfen des arbeitenden Teils der Bevölkerung von Politik und Gesellschaft immer stärker umworben werden. Ihre Bedürfnisse bekämen mehr Aufmerksamkeit und würden stärker berücksichtigt, ihre Bedeutung in Wirtschaft und Gesellschaft würde steigen.

"Bis 2012 steigt der Frauenanteil am Arbeitsmarkt in Österreich um 9 Prozent. Immer mehr Frauen erreichen die Chefetage. Der Kampf um weibliche Talente bricht aus: Kommunen wetteifern um attraktive Packages zur Ganztages-Betreuung von Kindern", skizziert die Studie ein mögliches Entwicklungsszenario.

"Neue Alte" oder Altersbeben

Die "Baby-Boomer" andererseits sehen sich einem Spannungsfeld von Altersdiskriminierung und Medien-Hype ausgesetzt und mit forcierter Altersvorsorge und immer weniger Reserven für private Konsumausgaben konfrontiert, so die Studie. Sie müssen zu "Neuen Alten" mutieren und sich dem lebenslangen Lernen und einem proaktiven Lebensstil stellen. Wissen wird zum Unterscheidungsmerkmal, zur "sozialen Demarkationslinie" und zum Wettbewerbsfaktor.

Der Alterung der Gesellschaft wird im "Best Case-Szenario" mit intelligenter Zuwanderungspolitik (qualifizierten Migranten), längerer Lebensarbeitszeit, permanenter Weiterbildung und familienfreundlichen Arbeitszeit-Modellen begegnet.

Im schlimmsten Fall könnte das Altersbeben in der europäischen Gesellschaft zu einer anhaltenden Depression, wachsenden sozialen Spannungen und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit führen. "Spielweisen des Negativ-Szenarios sind digitale Altenpflege (Pflegeroboter) und ein Offshoring der Altenheime in Billiglohnländer", skizziert die Studie ein düsteres Bild der Zukunft.

Ein weiterer wichtiger Antriebsfaktor für die Gesellschaft von morgen ist das Fortschreiten der technologischen Entwicklung. Mobilfunk, kabelloses Internet, die digitale Vernetzung insgesamt nimmt ständig zu. Daraus ergibt sich ständige Erreichbarkeit, das Arbeitstempo beschleunigt sich, die "24-Stunden-Ökonomie" hält Einzug.

Das hat Auswirkungen auf die Arbeitswelt: "Das Paradigma der Netzwerkgesellschaft heißt Coopetition statt Competition", so das "Zukunftsbarometer". Standortwettbewerb und Offshoring zwingen die Wirtschaft ihre Netzwerke zu nützen. Strategische Allianzen und Kooperationsmodelle sind an der Tagesordnung.

Arbeit wird ortlos, der Mitarbeiter zum ständig abrufbaren "Arbeitsnomaden", Teilzeit-Jobs, Leiharbeit, und projektbezogene Arbeitsverhältnisse boomen. Der Stress wächst. Unternehmen müssen sich daher verstärkt um Work-Life-Balance, Gesundheit und Motivation ihrer Mitarbeiter kümmern. Die "Corporate Community" wird zur "neuen Heimat" der Mitarbeiter.

Als extreme Auswirkung der Digitalen Gesellschaft könnte diese in zwei Parallel-Welten zerfallen: in den wachstumsorientierten Mainstream und eine Alternativbewegung, die sich der Entschleunigung des Lebens verschreibt und der spirituell, ökosozialen Sinnsuche widmet, skizziert das "Zukunftsbarometer" ein weiteres mögliches Szenario.