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"Österreich treibt den Zinswahnsinn in Europa auf die Spitze", titelt die "Welt" online auf die Ankündigung des Bundes, eine 100-jährige Staatsanleihe zu verkaufen. Das bedeutet im Klartext: Österreich verpflichtet sich, 100 Jahre lang einen bestimmten Zinssatz zu bezahlen, der mit 2,1 Prozent angesichts des Risikos lächerlich gering ist. Im Jahr 2117 wird die Anleihe getilgt, also das Kapital (zirka 3,5 Milliarden Euro) zurückgezahlt.
Nicht nur, dass viele Investoren dies, ohne groß nachzufragen, glauben; nein, es wollten fast dreimal so viele kaufen, als es Ware von diesem Science-Fiction-Schuldtitel gab. Für die Republik Österreich ist dies ohne Zweifel schmeichelhaft. Die großen Investoren dieser Welt nehmen also an, dass Österreich im Jahr 2117 immer noch eines der reichsten EU-Länder sein und dazwischen nie pleitegehen wird (was in den vergangenen 100 Jahren zweimal passiert ist).
Damit beweisen die Finanzkapitalisten deutlich mehr Zukunftsglauben in Österreich als die Österreicher selbst, die dieser Zukunft skeptischer gegenüberstehen. Wer würde schon seinen Urenkeln eine Staatsanleihe vererben, die 2117 fällig wird und dazwischen Zinsen abwirft, die hoffentlich die Inflation abdecken?
Natürlich ist es nicht ganz so, die Finanzwelt von heute ist eher noch komplexer als vor der Finanzkrise 2007. Aber viele Investoren stehen vor langfristigen Verbindlichkeiten. Pensionskassen und große Kraftwerksbetreiber denken in Zyklen bis zu 50 Jahren. Sie sind dauerhaft verschuldet, müssen Einnahmen aber auch möglichst risikoarm veranlagen. Das geht derzeit nur mit deutlich kürzeren Laufzeiten, vor allem über Anleihen jener Staaten, die über die höchste Kreditwürdigkeit verfügen. Zu diesen Ländern zählt Österreich. Elf Milliarden Euro hätte die Bundesfinanzierungsagentur daher verkaufen können. Das ist viel Geld, aber nur ein Bruchteil des Marktvolumens in Euro-Anleihen.
Der Erfolg der 100-jährigen Anleihe der Republik Österreich sollte indes in Brüssel einen Denkprozess auslösen. Wenn die EU ein eigenes Budget hätte, könnte sie sich jetzt langfristig konkurrenzlos billig mit Geld eindecken. Und damit jene Verkehrsinfrastrukturprojekte finanzieren, die Europas Städte näher zueinander bringen und entlang dieser Routen für enorme Wirtschaftsdynamik sorgen würden. Das würde dem Wort Zinswahnsinn den Wahn nehmen.