Maximal 40.000 entschiedene Asylverfahren pro Jahr: Auf diesen dehnbaren Kompromiss dürften sich SPÖ und ÖVP einigen.
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Wien. Obergrenzen: Für die einen ist allein schon die Forderung nach solchen inmitten der Flüchtlingskrise ein Unsinn – politisch, rechtlich, ethisch; die anderen sehen in ihnen den Schlüssel für eine Bewältigung der Herausforderungen. Entsprechend heftig wurde um den Begriff und das, was damit verbunden ist, gestritten.
Am Dienstagabend sickerte nun durch, dass sich die Verhandler von SPÖ und ÖVP offenbar auf eine ungefähre Obergrenze geeinigt hatten. Laut "Kurier" (Abendausgabe) stellt sich die avisierte Lösung wie folgt dar: Künftig soll sich die Zahl der entschiedenen Asylverfahren zwischen 30.000 bis 40.000 pro Jahr bewegen.
Die Größenordnung leitet sich aus dem Richtwert von 1,5 Prozent der Wohnbevölkerung ab, was angesichts der acht Millionen Einwohnern rund 120.000 Flüchtlingen entspricht. Die Bandbreite ergibt sich daraus, dass die ÖVP dafür plädierte, diese 120.000 für die nächsten vier Jahre festzulegen, was 30.000 Flüchtlingen pro Jahr entspräche, während die SPÖ von nur drei Jahren ausgeht, woraus sich die 40.000 Flüchtlinge pro Jahr ergeben würden. Endgültig fixiert werden soll dieser beim heutigen Asylgipfel im Bundeskanzleramt zwischen Regierung, Ländern und Gemeinden.
Hinter diesem Ringen steht das Ziel, gemeinsam etwa mit Schweden und Deutschland nationalen Druck für eine gesamteuropäische Lösung aufzubauen. Deshalb startet Ende der Woche Österreich auch sein neues Grenzmanagement in Spielfeld, wo der größte Ansturm erwartet wird.
Der – theoretische – EU-Lösungsansatz ist klar: der Schutz der EU-Außengrenzen, Hotspots an den Anrainerstaaten, Kooperation mit der Türkei, eine Quoten-Verteilung der Flüchtlinge auf alle 28 Mitgliedsstaaten und die Befriedung des Syrienkriegs. Aber diese Pläne funktionieren in der Praxis nicht. Trotz der Wintertemperaturen kommen täglich 3000 Flüchtlinge in Griechenland an und reisen über die Balkanroute vor allem Richtung Österreich, Deutschland und Schweden.
Domino-Effekt gewünscht
Die Regierungen dieser drei Länder stehen aufgrund des anhaltenden Zustroms zunehmend unter Druck und reagieren mit strengeren Maßnahmen gegen Flüchtlinge, um die Zahl der Einreisenden massiv zu senken. Den Anfang machten die Schweden, die Mitte November "aufgrund der Rekordzahl an Flüchtlingen temporäre Grenzkontrollen" ankündigten. Anfang Jänner zog Dänemark nach, beide Länder verschärften ihre Asylgesetze und beschlossen, Flüchtlingen finanzielle Zuwendungen zu kürzen. Nun weist Deutschland täglich zwischen 200 und 300 Personen zurück nach Österreich, die bayrische Regierungspartei CSU bringt die deutsche Kanzlerin massiv unter Druck und fordert scharfe Grenzkontrollen. Laut Informationen des "Spiegel" soll es in der CDU die Idee geben, bestimmte Gruppen, beispielsweise Afghanen, an der Grenze abzuweisen.
Was also ist das Kalkül dieser nationalen Maßnahmen? In einer offenbar konzertierten Aktion versuchen die Hauptzielländer der Flüchtlingsbewegung, das Problem geografisch in Richtung Balkanstaaten, allen voran Griechenland, zu verlagern.
Wie genau die Maßnahmen, die heute beim Asylgipfel beschlossen werden, auch aussehen mögen: ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner betonte am Dienstag, die österreichischen Aktionen seien mit den Behörden in Slowenien und Kroatien abgestimmt. Dass Slowenien ein eigenes, nationales Grenzmanagement einführen könnte, ist nicht unwahrscheinlich: Bereits vergangenen Freitag hatten die slowenischen Behörden angekündigt, im Falle einer restriktiveren Grenzpolitik Österreichs "nachziehen" und ebenfalls den "Zustrom eindämmen" zu wollen.
Laut dem Sprecher des Innenministeriums gibt es ab Freitag für Flüchtlinge nur noch eine Einreisegenehmigung, wenn diese einen Asylantrag in Österreich oder Deutschland stellen: "Eine geplante Durchreise nach Schweden ist dann nicht mehr möglich." Mittelfristig soll gemeinsam mit Deutschland und Slowenien die Schengen-Außengrenze, also die slowenisch-kroatische Grenze, gesichert werden.
Endstation Griechenland?
In der Folge würde so vor allem Griechenland massiv unter Druck geraten. ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz macht aus dem Plan, das Problem Richtung Süden verlagern zu wollen, keinen Hehl. Das wirtschaftlich am Boden liegende Land sei aber ohnehin in einer "höchst komfortablen" Situation, verkündete Kurz am Dienstag im Ö1-"Morgenjournal". Die Griechen würden die Flüchtlinge "möglichst schnell Richtung Mitteleuropa" weitertransportieren.
Das Kalkül ist wohl, Griechenland so zum aktiven Schutz der EU-Außengrenzen zu zwingen, wie dies wiederholt nicht nur von der deutschen und der österreichischen Regierung gefordert wurde.
EU-Ratspräsident Donald Tusk befürchtet indes ein Zusammenbrechen des Schengen-Systems, sollte innerhalb von zwei Monaten keine europäische Lösung erreicht werden. In rund vier Wochen sollen nun die Hotspots in Griechenland und Italien einsatzbereit sein und dort die Asylanträge der Flüchtlinge annehmen. In der Folge sollen diese innerhalb der EU verteilt werden. Fraglich bleibt, wie sich die humanitäre Situation in Griechenland entwickeln wird. Laut "Ärzte ohne Grenzen" bestünden dort nach wie vor "völlig unzulängliche Aufnahmebedingungen".
Giorgos Chondros, Politiker der griechischen Regierungspartei Syriza, erwartet keinen Rückgang der Flüchtlingsbewegung in seinem Land. "Schon vor den temporären Grenzöffnungen im Sommer sind Zigtausende an unserer Grenze zum ehemaligen Jugoslawien festgesessen", erinnert Chondros an die humanitär prekäre Lage im Juni. Genau das stünde wieder bevor, würden Deutschland, Österreich und Slowenien ihre Pläne in die Tat umsetzen.