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Eine beispielhafte Kommandoaktion

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Anhand der Tötung des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden lässt sich die mühselige Arbeit der US-Geheimdienste nachvollziehen - und dabei tauchen auch dunkle Flecken auf.


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Der Angriff auf Osama bin Laden war eine so schnelle wie entschlossene Aktion, die es mit jedem Spionagethriller aufnehmen kann. "Find, fix, finish" (aufspüren, planen, durchführen) lautet die Kurzformel für solche Operationen der CIA und der Spezialeinheit "Joint Special Operations Command" (JSOC) des US-Militärs. Die ersten beiden Schritte werden dabei üblicherweise von der CIA und anderen Geheimdiensten übernommen. Wie der Fall Bin Laden zeigt, kann diese Phase Jahre dauern, Jahre voll langwieriger Detektivarbeit.

Rekonstruiert man den Aufbau dieser Aktion, entdeckt man, wie die einzelnen Teile der US-Terrorabwehrpolitik zusammenpassen. Und man wirft ein neues Licht auf eine der kniffligsten Fragen der CIA, nämlich ob es möglich ist, mit dem pakistanischen Geheimdienst gewinnbringend zusammenzuarbeiten. Die Antwort scheint zu lauten: Manchmal ja.

Der Weg, der zu Bin Ladens Versteck in Abbottabad führte, geht bis ins Jahr 2002 zurück, als die CIA Al-Kaida-Mitglieder in geheimen Überseestationen verhörte. Mehrere Häftlinge erwähnten den Decknamen eines Verbindungsmannes von Bin Laden. Einige von ihnen wurden "erweiterten Verhörtechniken" unterzogen. Das ist die offizielle Bezeichnung der CIA für Methoden, die heute weithin als Folter eingestuft werden. Das bringt dunkle Flecken in die sonst glorreiche Geschichte.

Die CIA verbrachte Jahre damit, die Identität dieses Verbindungsmannes herauszubekommen. Unter Inanspruchnahme von Quellen, über die Beamte der US-Regierung nicht sprechen wollen, deckte die CIA 2007 schließlich den wirklichen Namen auf und auch, dass der Verdächtige einen Bruder hat. Anfang 2009 wurde er von einem Team der CIA-Terrorabwehr bis in einen Unterschlupf in Abbottabad, den er mit diesem Bruder teilte, verfolgt.

Pakistan erzählte man von all dem nur sehr wenig, aus Angst, es könnte etwas durchsickern. Aber die Pakistaner sollen von sich aus ihre Hilfe angeboten haben. "Sie sagten uns nicht, dass er sich in Abbottabad aufhielt", verriet ein hoher US-Beamter, "aber ihre Informationen ermöglichten es uns, ihm dorthin zu folgen." Die CIA untersuchte das ungewöhnliche Lager: extrem hohe Mauern, keine Telefon- oder Internetleitungen und regelmäßiges Verbrennen von Müll.

Die weitere Überwachung ergab, dass sich zusätzlich zu den beiden Brüdern eine weitere Familie dort aufhielt. Die Anzahl der Mitglieder und andere Details passten auf Bin Ladens Familie. Vorigen August wurde dann dieser "Indizienbeweis" US-Präsident Barack Obama vorgelegt. Und heuer begann die JSOC nach den Punkten "Find" und "Fix" auch das "Finish" vorzubereiten. Obama hatte nun die Wahl zwischen Bombardierung und Stoßtruppunternehmen und entschloss sich für Letzteres, um Bin Ladens Leiche sicherzustellen.

Bleibt allerdings noch die Frage, was die pakistanische Regierung von all dem wusste. Es handelt sich schließlich um kein sehr abgelegenes Gebiet, mit einer pakistanischen Militärschule in der Nachbarschaft. Ein hoher US-Beamter sagte, die CIA habe diese Frage sorgfältig untersucht, aber absolut keinen Beweis in Händen, dass die pakistanische Regierung etwas über den Aufenthalt Bin Ladens wusste. Das ermöglicht dem pakistanischen Geheimdienst und der CIA, ihre Zusammenarbeit fortzusetzen.

Bedeutet das nun das Aus für die Al-Kaida? So weit wollen CIA-Analytiker nicht gehen, aber die Aktion werde "ihren Tod beschleunigen": Die Al-Kaida sei nun an einem "Kipppunkt" angelangt, der leicht den Zusammenbruch bringen könne.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch i der "Washington Post". Originalfassung