Eigentlich war es absehbar, dass die Wehrpflichtdebatte nach Schweden und Deutschland auch Österreich erfassen wird. Bestürzend ist allerdings, wie eine staatspolitische Grundsatzentscheidung aus billigen Motiven in einen Landtagswahlkampf gezogen wird.
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Dieser Umgang mit einer Frage mit weitreichenden Konsequenzen scheint aber keinen Einzelfall darzustellen, wenn sich zeitgleich Universitätsrektoren mit leeren Hosentaschen ablichten lassen, um auf drastische Weise eklatante Missstände und Defizite im Hochschulbereich aufzuzeigen. Dabei weisen alle aktuellen Studien unmissverständlich darauf hin, dass der Wohlstand in Europa nur durch exzellente Forschung und Hochtechnologie erhalten werden kann. Erheblicher Reformstau und Handlungsbedarf werden auch im Schulbetrieb, im Gesundheitsbereich und bei der Altenbetreuung geortet. Ebenso wurden Aspekte der Zuwanderung und Integration jahre-, wenn nicht jahrzehntelang unter den Teppich gekehrt. Von einer umfassenden Staatsreform, die Geld sparen und die Effizienz steigern soll, ist zwar permanent die Rede, aber es sind keine substanziellen Schritte zu erkennen. Gleichzeitig hält der Ansturm auf die Hacklerpension unvermindert an, die Kosten explodieren.
Was ist los in Österreich, dass wider besseres Wissen nicht das gemacht wird, was nötig scheint? Dominiert tatsächlich bereits jenes Verständnis von Politik, das populärem Agieren den Vorzug gibt, anstatt das Notwendige populär zu machen? Kann man es sich leisten, in eine wahlkampfbedingte Erstarrung zu verfallen, während sich die Welt immer rascher weiterdreht? Es ist wohl eine irrige Anschauung, der Politikverdrossenheit mit weiteren Zuckerln begegnen zu können, die den nächsten Generationen gegenüber unverantwortbar sind und den Generationenvertrag ad absurdum führen.
Oder liegt es nicht an der Politik, sondern an den Österreichern, die jeden Reformansatz bei nächster Gelegenheit an der Wahlurne rigoros abstrafen? Diese Logik herrscht bei Wahlstrategen zweifellos vor, allerdings wird hier wohl der politische Hausverstand der meisten Wähler unterschätzt. Diese können sehr wohl erkennen, was notwendig und gerecht ist - man kann aber nicht erwarten, dass sie den ersten Schritt zu Reformen machen, das bleibt Aufgabe der Politik.
Die abrupte, untaugliche und teils verantwortungslose Thematisierung der Wehrpflicht, die ja nur Ausdruck der sicherheits- und verteidigungspolitischen Erfordernisse und Positionierung des Staates sein kann, stellt somit vermutlich nur die Spitze eines politischen Eisbergs dar. Eisberge haben es an sich, dass immer nur ein wenig herausschaut, der unsichtbare Teil aber das eigentliche Problem, die wirkliche Gefahr darstellt. Gute Steuermänner und -frauen mit Kreativität, Gestaltungswillen und Überzeugungskraft sind daher gefragt, um Österreich auf Zukunftskurs zu bringen.
Walter Feichtinger ist Offizier im Verteidigungsministerium und schreibt als Staatsbürger und Familienvater.