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Eine Bewegung will nicht sterben

Von Gerhard Lechner

Politik

Erste Erfolge im Gespräch mit den Rektoraten. | Studenten wollen lange ausharren. | Wien. Wer am Mittwochmittag zum "echten Bildungsdialog" der studentischen Protestbewegung - eine Konkurrenzveranstaltung der Audimax-Besetzer zum Hochschul-Dialog des Wissenschaftsministers - ins Palais Kabelwerk in Wien-Meidling wollte, hatte es nicht schwer, den Ort zu finden: "Einfach der roten Linie folgen", verkündeten Flugzettel am U-Bahn-Ausgang Tscherttegasse. | Dialog mündet in Arbeitsgruppen | Die Europäische Union verfehlt Bildungsziele klar | Die OECD fordert tertiäre Bildung für (fast) alle | Interview mit der Bildungspsychologin Christiane Spiel | Bologna, Zugangsregelung und Uni-Finanzierung


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Trotz der Bodenmarkierung waren es allerdings zunächst nur wenige, die den Weg ins Kabelwerk fanden: Die rund 150 bin 200 Personen verliefen sich in dem weiträumigen Areal, das die Stadt Wien zur Verfügung gestellt hatte. Ein paar Unentwegte boten auf Büchertischen linke Folklore feil: Von "Basiswissen Marxismus" über den "Lesekreis Karl Marx" bis zur Oktoberrevolution wurde da für alles geworben, was nach Umsturz roch. Ein trotzkistischer Aktivist klärt geschlechtergerecht über den russischen "BürgerInnenkrieg" auf.

Flächenbrand erlischt

Nicht minder geschlechtergerecht, aber deutlich weniger revolutionär ging es im Tagungssaal zu, als die Veranstaltung eine halbe Stunde später als geplant begann: "Männer und Frauen sollten abwechselnd sprechen", wurde die Leitlinie festgelegt. Als dann die Debatte losging, meldeten sich zunächst nur Männer.

Auch wenn der in den Flugzetteln der Studentenbewegung beschworene "Flächenbrand an den Unis" mehr und mehr erlischt, gibt man in den Kreisen der Protestierenden die Hoffnung nicht auf: Von Versammlungen, Arbeitsgruppen und internationaler Vernetzung der Proteste ist die Rede. "Squatting Teachers" sollen einen offenen Lehrbetrieb ermöglichen, Mängellisten an Instituten erstellt werden: "Ja, im Audimax ist es jetzt ruhiger. Aber die Bewegung ist nicht am Absterben. Sie ist an den Instituten angekommen", meinte ein Diskutant.

Es folgten Erfahrungsberichte der Protestbewegung aus Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg: Fast überall habe sich das Rektorat auf die Seite der Studenten gestellt. So melden etwa die Grazer Uni-Besetzer Erfolge: In Gesprächen mit dem Rektorat konnten erste Verbesserungen im Lehrbetrieb erreicht werden. Eine von den Studenten erstellte umfangreiche Liste mit überbuchten Lehrveranstaltungen soll als Basis für die Behebung der Probleme verwendet werden. Auf Bitte der Studierenden hin wurde auch eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Universitätsbibliothek gegründet.

Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, der die Veranstaltung im Kabelwerk besuchte, zeigte sich solidarisch mit den "richtigen und wichtigen Forderungen" der Studenten und bekundete am Podium seine Sympathie mit ihren Anliegen. Die Proteste hätten "das Thema Bildung wieder auf die gesellschaftspolitische Landkarte" gebracht.

Christbäume bestellt

Trotz erster Erfolge in den Verhandlungen mit den Rektoraten betonten die Studentenvertreter ihren langen Atem: Manche wollen die Unzufriedenheit im überlasteten Verwaltungsapparat der Universitäten nutzen, um im April, zum 10-Jahres-Jubiläum des umstrittenen Bologna-Prozesses, einen großen, effektvollen Streik durchführen zu können.

Trotz teils lockender Angebote der einzelnen Rektoren denkt man bei den Studenten nicht daran, die besetzten Auditorien zu räumen: Die Christbäume für Weihnachten im Hörsaal sind schon bestellt.