Die Bestandsanalyse der FPÖ im Dokumentationsarchiv zum "Dritten Lager" fiel wohl mager aus.
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Wien. Der unfertige, 32-seitige Rohbericht der FPÖ-Historikerkommission wurde von Zeithistorikern nach seiner Veröffentlichung regelrecht auseinandergenommen. Wissenschaftliche Standards seien nicht eingehalten worden, so die Kritik. Außerdem sahen namhafte Zeithistoriker die Rolle der Alt-Nazis, die die Vorläuferin der FPÖ, den "Verband der Unabhängigen", mitgründeten, in ihrer Rolle im Nationalsozialismus verharmlosend dargestellt.
Beiläufig erwähnte die Historikerkommission am Montagabend bei der Präsentation auch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, kurz DÖW, in dem sie offensichtlich für einen Beitrag recherchierte. Dort ist die Geschichte der Freiheitlichen bekanntlich gut dokumentiert. Doch die Recherche dürfte mager ausgefallen sein. Laut dem wissenschaftlichen Leiter des DÖW, Gerhard Baumgartner, sei Kommissionsleiter Wilhelm Brauneder seit der Einsetzung der Kommission Anfang 2018 dreimal im Archiv vorstellig gewesen. Erst Anfang Juli 2019 kam Brauneder mit Johannes Kalwoda im Schlepptau, einem Assistenten am Institut für Rechts- und Verwaltungsgeschichte der Universität Wien. Dieser schrieb für den Historikerbericht über die Materialien des DÖW zum "Dritten Lager" in Bezug auf die FPÖ - nach einer zweiwöchigen Sichtung des Bestands.
"Das sind einfach Berge"
"Kalwoda hat gemeint, er könne im Wesentlichen nur statistisch arbeiten, weil er nur zwei Wochen dafür Zeit hätte", sagt Baumgartner. "Er sollte sich einen Überblick verschaffen." Viel von dem, was im Archiv gelagert sei, könne Kalwoda in dieser Zeit nicht studiert haben und in den noch unveröffentlichten Bericht eingeflossen sein. "Das sind einfach Berge", sagt Baumgartner. Allein unter dem Stichwort Strache gebe es weit mehr als 1000 Beiträge, zu den Alt-Nazis Anton Reinthaller und Viktor Reimann etliche Aktenstöße. Kalwoda habe das DÖW gar als FPÖ-Archiv bezeichnet, weil er nichts Vergleichbares innerhalb der FPÖ kenne, sagt Baumgartner. Kontaktaufnahmen der "Wiener Zeitung" zu Brauneder und Kalwoda blieben unbeantwortet.
Eine andere Form der Zusammenarbeit zwischen der FPÖ-Historikerkommission und dem DÖW gab es nicht. Laut Baumgartner sei das Archiv nie von der FPÖ für mehr kontaktiert worden. Die Freiheitlichen hätten in Interviews nur ab und zu behauptet, dass das DÖW in die Arbeit eingebunden werden solle. Der ehemalige FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz hätte das DÖW nach der Erzählung Baumgartners per Mail darauf hingewiesen, dass die Kommission zunächst für sich arbeite und das DÖW später eingebunden werde. Für Baumgartner sei klar gewesen, dass man sich als DÖW nicht für eine "Feigenblattaktion" hergebe, also etwa für einen Bericht drei Anmerkungen abgebe und dann als eingebunden bezeichnet werde, sagt er. Dazu kam es ohnehin nicht.
Fehlende Figuren
Baumgartner ist vom Rohbericht enttäuscht. Es handle sich um eine "vorwissenschaftliche Arbeit". Wesentliche Figuren der Parteigeschichte würden in dem Bericht fehlen. Wie Norbert Burger, bis 1963 Mitglied der FPÖ, ehe er später die NDP gründete, die 1988 wegen NS-Wiederbetätigung nach dem Verbotsgesetz aufgelöst wurde. Der Auslöser für die Kommission, die NS-Liederbuchaffäre, werde kaum behandelt. Stattdessen sei ein Beitrag über die Wehrpolitik der FPÖ im Rohbericht. Das sei aber nicht die Aufgabe der Historikerkommission gewesen. Eine "rote Linie" zum hart rechten Rand, die die FPÖ brauche, gebe es mit diesem Historikerbericht nicht. "Es ist eine vertane Chance."