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Eine Chance aufs Überleben?

Von Christina Mondolfo

Wissen

Während sich die einen darüber freuen, löst das vermehrte Auftauchen von Bären, Wölfen und Luchsen in Österreich bei anderen eher Unmut und Besorgnis aus.


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Bär, Wolf und Luchs waren einst in Mitteleuropa weit verbreitet, doch Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Mensch sie hierzulande ausgerottet – zu groß war die vermeintliche Konkurrenz um Nahrungsmittel und Platz. Aber langsam kehren die scheuen Raubtiere aus ihren letzten Rückzugsgebieten in Europa wieder nach Österreich zurück. Ob es allerdings tatsächlich eine Rückkehr wird oder nur ein gelegentliches Durchstreifen bestimmter Gebiete, hängt unter anderem stark von der Akzeptanz der Bevölkerung und der strengen Einhaltung gesetzlicher Vorgaben ab.

Geschützt, aber umstritten

Alle großen Beutegreifer genießen grundsätzlich einen hohen Schutzstatus. Österreich ist unter anderem durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU dazu verpflichtet, entsprechend günstige Gebiete und Erhaltungszustände für Bär, Luchs und Wolf zu schaffen. Im "Bergwaldprotokoll" der Alpenkonvention befürwortet Österreich sogar eine Wiedereinbürgerung zur Wiederherstellung eines natürlichen Selektionsdrucks auf Schalenwild wie Reh oder Gämse. Ob sich Wolf, Bär und Luchs hier wieder dauerhaft ansiedeln können, ist jedoch nicht nur eine Frage der gesetzlichen Schutzbestimmungen. Denn die Tiere sind zwar kaum Verfolgungsdruck ausgesetzt und auch die Habitatbewertung in Österreich ist gut, das heißt es sind ausreichend große, nicht zu stark zerschnittene Lebensräume mit ausreichender Nahrung vorhanden, doch ihre Wiederkehr polarisiert: Denn auch wenn Bär, Luchs und Wolf wichtig für intakte Ökosysteme sind und in Teilen der Bevölkerung hohe Sympathiewerte genießen, so bergen sie doch ein hohes Konfliktpotenzial, da sie durch ihr natürliches Verhalten – besonders im Hinblick auf die Jagd nach Beute – immer wieder in Konkurrenz zu jenen treten, die den gleichen Lebensraum nutzen, also Landwirte, Bauern, Jäger oder Erholungsuchende.

Aufklärung wichtig

Um diese Problematik weiß Georg Rauer bestens Bescheid. Der Bärenanwalt, Wolfsbeauftragte und Mitarbeiter des Forschungsinstitutes für Wildtierkunde und Ökologie arbeitet nahezu täglich daran, die Menschen aufzuklären und ein Umdenken zu bewirken. "Es geht gar nicht so sehr darum, ob wir die großen Beutegreifer brauchen, sondern dass wir sie gemäß dem Wunsch nach einer intakten Ökologie in unserem Land haben wollen", erklärt er im Gespräch mit dem "Wiener Journal". "Der Wolf etwa hat eine Schlüsselposition im Ökosystem, fällt er aus, hinterlässt das ein großes Loch mit massiven Auswirkungen auf andere Arten im Sinne der Biodiversität. Und er gehört nun einmal – ebenso wie der Bär und der Luchs – bei uns zur natürlichen Artenausstattung." Doch gerade der Wolf hatte es in Österreich besonders schwer: Kaum ein Tier wurde hierzulande so brutal gejagt wie er, 1882 wurde in der Steiermark das letzte Rudel ausgelöscht. Zum Ziel der kompromisslosen Jagd wurde der Wolf, weil er immer wieder Nutztiere, vor allem Schafe und Ziegen, erbeutet hatte. Dies jedoch nur, weil die Wälder zunehmend leergejagt worden waren und immer größere Anteile seines Reviers der rasch wachsenden Landwirtschaft zum Opfer fielen. Heute zeigen sich vor allem Landwirte, die kleinere Herden von Schafen und Ziegen haben und/oder sie in waldreichen, weit abgelegenen Gebieten weiden lassen, wenig begeistert von der Rückkehr des Wolfes. "150 Jahre waren weder Hirten noch Herdenschutzhunde notwendig, heute sollen die Bauern wieder auf ihre Tiere aufpassen, die Weiden einzäunen und so weiter. Abgesehen vom Aufwand verursacht das natürlich Kosten und die will keiner tragen. Doch wenn die Gesellschaft Großraubtiere will, sollte sie auch bezahlen." Und es gibt noch eine weitere Schwierigkeit: "Auch die Schafe und Ziegen haben sich daran gewöhnt, frei und unbeaufsichtigt zu weiden. Sie müssten sich also ebenfalls erst wieder an Zäune, Hirten und Herdenschutzhunde gewöhnen."
Die Jäger wiederum fürchten um die Wildbestände, dabei haben Wölfe durchaus positive Auswirkungen: "Das Wild wird aufmerksamer und vorsichtiger und wechselt öfter die Plätze, das bedeutet weniger Verbiss in den Wäldern. Und die Anwesenheit von Wölfen respektive Wolfsrudeln wirkt sich positiv auf die Gesundheit des Wildes aus." So wie schon in früheren Zeiten hat es der Wolf also auch heute nicht leicht, denn er wird immer noch wegen der möglichen Schäden, die er durch Risse anrichten kann, angefeindet. Seine Gefährlichkeit wird jedoch geringer eingeschätzt, "denn wenn es nicht gerade ein aus einem Wildpark entwischter Wolf ist, der keine oder nur geringe Scheu vor Menschen zeigt, geht uns Meister Isegrimm lieber aus dem Weg."

Das hat er mit dem Bär gemeinsam, der ebenfalls am liebsten unbehelligt seiner Wege zieht. Fühlt er sich aber bedroht oder will seine Jungen beschützen – wie es erst kürzlich das Beispiel einer Bärin im italienischen Trentino gezeigt hat (sie ist übrigens beim Versuch, sie zu narkotisieren, um sie übersiedeln zu können, gestorben, die Zukunft ihrer Jungen ist ungewiss) – kann es schon zu Attacken gegen Menschen kommen. "Außerdem sind sowohl Bär als auch Wolf äußerst intelligente Tiere, sie lernen rasch, dass es in der Nähe von Menschen meist auch Futter gibt. Und dass es viel leichter zu erreichen ist, als Beute zu jagen. Ist es einmal so weit gekommen, müssen diese Tiere so rasch als möglich vergrämt, also auf Dauer verscheucht werden. Das funktioniert leider nicht immer, dann muss eine Entfernung des Tieres in Betracht gezogen werden", erklärt Rauer. Das kann die Verbringung des Tieres in ein anderes Gebiet oder einen Tierpark bedeuten – wobei in letzterem Fall zu überlegen ist, ob es nicht tierschutzwidrig ist, ein bisher in Freiheit lebendes Tier einzusperren – oder in letzter Konsequenz den Abschuss.

In diese Gefahr gerät der Luchs wohl kaum – er ist eines der scheuesten Raubtiere überhaupt und meidet die Nähe des Menschen konsequent. Noch dazu bevorzugt er geschlossene Wälder, die nicht oder kaum genutzt werden. Trotzdem stößt auch seine Anwesenheit bei Jägern nicht unbedingt auf große Gegenliebe, denn seine Hauptbeutetiere sind Rehe, Gämsen und gelegentlich Hirschkälber. Doch angesichts der geringen Luchspopulation in Österreich sollte das kein Problem sein.

Nur überleben oder wachsen?

"Um zu überleben oder sogar Populationen bilden zu können, brauchen Bären, Wölfe und Luchse Nahrung, Rückzugsräume und natürlich keinen Verfolgungsdruck", betont Georg Rauer. Alle drei Voraussetzungen sind hier grundsätzlich gegeben, dennoch ist Österreich besonders für Wölfe und Bären derzeit eher ein Durchzugsland. Laut einem EU-Bericht von 2013 leben derzeit etwa 17.000 Bären, 10.000 Wölfe und 10.000 Luchse in Europa. In Österreich kommen diese Tierarten allerdings nur vereinzelt vor. "Wir konnten vier Bären genetisch erfassen und außerdem einen besenderten. Es sind alles Männchen aus Slowenien oder Italien, die in Kärnten und Tirol auf der Suche nach einem Weibchen sind. Sie wandern jedoch alle wieder zurück. Und unseren Ötscher-Bären hat man schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Auch bei den Wölfen sind es ausschließlich Männchen, die auf der Suche nach einer Partnerin durch Teile von Österreich wandern. Bisher hat sich noch kein Rudel gebildet, der Wolf, der seit drei Jahren auf der Gleinalm beobachtet wird, ist ebenfalls ein Einzelgänger. Bei den Luchsen gibt es ebenfalls nur wenige Exemplare im Mühl- respektive Waldviertel und im Nationalpark Kalkalpen, aus der Schweiz sind ein paar nach Vorarlberg eingewandert", schildert Rauer die Situation der Beutegreifer in Österreich. Der Wildbiologe und Projektleiter im Nationalpark Kalkalpen, Christian Fuxjäger, ist mit dem Luchsmonitoring und der Bestandsstützung beschäftigt: "Es steht nicht gut um den Luchs in Österreich. Wir haben Anteile an zwei Populationen, von der die eine nur aus Einzeltieren besteht. Aber die gute Nachricht ist der Beweis von Luchsnachwuchs in den Kalkalpen."

Doch die Möglichkeit, dass diese zaghaften Versuche der "Einwanderung" scheitern, besteht: "Illegale Abschüsse sind eine große Gefahr besonders in der Anfangsphase, da sie das Entstehen einer Population verhindern, doch der Nachweis ist schwierig." Man denke da etwa an das Verschwinden von 20 Bären in Österreich in den 1990er Jahren, was Naturschützer als das zweite Aussterben dieser Tierart hierzulande bezeichneten. Und vor einigen Monaten schockierte der Fund eines Bärenkadavers ohne Kopf und Tatzen die Öffentlichkeit. Der Wilderer wurde zwar gefunden, aber rechtlich nicht belangt. Auch die Fälle der toten Luchse, die in Plastiksäcken in einem Fluss gefunden wurden, und das Verschwinden eines jungen besenderten Männchen in Kärnten sind besorgniserregend.
Dennoch ist Rauer optimistisch, nicht nur was das Überleben, sondern sogar das Wachsen von Wolf-, Bären- und Luchspopulationen in Österreich betrifft: "Wir können uns auf die großen Beutegreifer einstellen und werden das hoffentlich auch." Da sich diese Tiere auf ihren Wanderungen allerdings nicht um Grenzen kümmern, ist auch eine noch intensivere Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene nötig. Neben einer gesetzlichen Basis können auch wissenschaftliche Beiräte oder Plattformen dazu beitragen, eine friedliche Koexistenz von Tier und Mensch zu ermöglichen. Eine solche ist etwa die erst im Juni von der EU-Kommission ins Leben gerufene Plattform "Coexistence between People and Large Carnivores". Landwirte, Naturschützer, Jäger, Landbesitzer und Wissenschafter sollen sich darin austauschen und gemeinsam Wege erarbeiten, wie Menschen und Wildtiere miteinander auskommen können. Der Weg dahin ist allerdings vermutlich noch ein langer …

Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.
Wesentliches Ziel der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) ist die Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. Dieses Ziel soll mit dem Aufbau des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 erreicht werden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Gebiete zu nennen, zu erhalten und zu entwickeln, in denen Arten und Lebensräume von europaweiter Bedeutung vorkommen.

Infos zu den Aktivitäten der EU-Kommission in Bezug auf die großen europäischen Beutegreifer unter
http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/species/carnivores/index_en.htm