Franz Josef Wetz: Religionen sind ambivalent - sie tendieren zu Gewalt und Gewaltlosigkeit.
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Kremsmünster. Weltweit gibt es mehr als 400 Konflikte; viele sind religiös motiviert. Und in Europa gedenkt man des Ersten Weltkriegs, der vor 100 Jahren begonnen wurde. Welche Rolle spielen Religionen in kriegerischen Auseinandersetzungen? Und inwieweit wird der Glaube für Gewalttaten missbraucht? Das sind die wesentlichen Fragen, die bei der heurigen "Sommerakademie" im Stift Kremsmünster unter dem Titel "Gewalt im Namen Gottes - Die Verantwortung der Religionen für Krieg und Frieden" noch bis heute, Freitag, diskutiert werden. Den Eröffnungsvortrag mit dem Titel "Religion als Chance zur Grausamkeit- Die Normalität der Gewalt" hielt der deutsche Philosoph und Atheist Franz Josef Wetz.
"Wiener Zeitung": "In jedem von uns steckt ein Henker", haben Sie, Herr Professor Wetz, gesagt und gemeint, dass dort, wo es die Chance auf - sanktionsfreie - Gewalt und Grausamkeit gibt, diese auch genutzt würde.
Franz Josef Wetz: Die Ursache der Gewalt liegt in der menschlichen Natur. Und die Religionen haben die Gewalt nicht erfunden, sie tragen aber dazu bei, dass es sie gibt. Sie sind also nicht primär die Ursache von Gewalt, aber oft quasi deren "Handlanger" und eine Chance für Gewalt. Religionen bieten Gewalt oft so etwas wie eine religiös motivierte Plattform und Motivation, auf der das Gewaltbegehren ausgelebt und gerechtfertigt werden kann.
Würden Sie sagen, dass von den monotheistischen Religionen besonders viel Gewalt ausgeht?
Religionen sind prinzipiell beides: kriegerisch-menschenverachtend und friedlich-menschenfreundlich. Auch die monotheistischen Religionen sind ambivalent. Sie haben die Gewalt und die Gewaltlosigkeit in ihren Dokumenten verankert. Doch sie treten mit einem absoluten Wahrheitsanspruch auf und meinen zudem, einen Missionsauftrag erfüllen zu müssen. Das macht sie von vornherein anfällig für Gewalt.
Viele der aktuellen gewaltsamen Konflikte auf der Erde sind religiös motiviert. In Nigeria zum Beispiel, Zentralafrika, die Kämpfe im Irak.
Die Weltgeschichte war und ist voller Grausamkeit. Und immer waren Kriege auch religiös motiviert. In Afrika oder im arabischen Raum sind es aktuell meist Gruppierungen, die sich von anderen absetzen und "die anderen" als "die Ungläubigen" bezeichnen. Ein zusätzlicher Aspekt ist dabei ganz wichtig: Die Gesellschaften in diesen Ländern sind oft sehr patriarchisch organisiert, und die Bevölkerung wächst rasch. Nur der älteste Sohn ist traditionell erbberechtigt. Das sind emanzipationsfeindliche Gesellschaften, in denen junge Männer zu Tapferkeit und Heldentum erzogen werden. Und gleichzeitig können die Gesellschaften diesen Jugendlichen keine Positionen anbieten, die ihrem Selbstbild entsprechen. Doch sie suchen Achtung und Anerkennung. Das macht sie besonders anfällig für Gruppierungen, die ihnen sagen, dass sie Ausgewählte sind, die sich Ruhm und Anerkennung durch persönlichen Einsatz als Gotteskrieger verschaffen können. Mein besonderer Punkt liegt auf diesem sozial-demografischen Aspekt, der in vielen Regionen der Welt von fanatischen religiösen Gruppen missbraucht wird.
Die Weltreligionen hätten doch auch die Möglichkeit, sich für gewaltfreie Lösungen einzusetzen. Wie steht es um die friedensstiftende Aufgabe der Religionen?
Da sind wir relativ weit weg aus meiner Sicht. In der westlichen Welt haben wir diese Befriedung weitgehend geleistet. Religionen tragen - so sie denn in ihrer Dauerkrise noch genügend wahrgenommen werden - dazu bei, dass Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit gelebt werden. Insofern sind sie friedensstiftend. Aber es ist ein Irrglaube zu denken, dass die Religionen durch die Ideen der Nächstenliebe den Frieden auf der Welt werden sichern können. Auch die Abschaffung der Religionen würde das nicht ermöglichen. Denn Gewalt ist ein biologisches Erbe der Menschheit. Sie lässt sich bändigen und zähmen, aber niemals gänzlich ausmerzen.
Zur Person
Franz Josef Wetz, Jahrgang 1958, studierte (katholische) Theologie und Philosophie: Philosoph ist er geblieben, Religionskritiker geworden. Franz Josef Wetz lehrt an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd Philosophie und Ethik.