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"Eine Demokratie lebt auch von Opposition und Kritik"

Von Heike Hausensteiner

Politik

Naturgemäß negativ fiel die Bilanz der im Parlament vertretenen Oppositionsparteien nach 100 Tagen ÖVP/FPÖ-Regierung aus. Von "verlorenen Tagen" spricht die SPÖ, "denkwürdige Tage" urteilen die Grünen. Die Kritik richtet sich vor allem gegen Vorhaben im sozialpolitischen Bereich.


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Ideologisch motiviert sei eine Reihe der Maßnahmen. Anstatt Strukturreformen zu setzen, würde "Budgetkosmetik" betrieben, heißt es in den Reihen der Opposition. Die neuerliche Pensionsreform, die Regelung des Karenzgeldes ("Kinderbetreuungsgeld"), die neue Ressortaufteilung, die geplante Streichung des ermäßigten Postversandes von Zeitungen, das Wiedereinstiegsprogramm "Integra" und die Einsparungen bei den Zivildienern sowie die Ausweitung der Kompetenzen der Volksanwälte waren die politisch am heftigsten umstrittenen Punkte in den vergangenen hundert Tagen.

"Die Koalitionspläne greifen massiv in die Lebensplanung der Menschen ein", kritisiert SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl. Sie verweist u.a. auf die Zivildienstregelung - junge Männer hätten "von heute auf morgen" nur mehr das halbe Einkommen und würden bei der Jobsuche oder Planung ihrer Ausbildung beeinträchtigt. In der Frauenpolitik unterstellt Kuntzl der Regierung die Philosophie "weg von der Eigenständigkeit, hin zur Häuslichkeit". Mit der Karenzregelung würde die Koalition den Frauen Geld versprechen, die zur Kinderbetreuung zu Hause bleiben. Unterstützung für Wiedereinsteigerinnen lasse sie aber vermissen.

"Umverteilung von den unteren und mittleren Einkommen zu den Begünstigten und Unternehmen", sekundieren Kuntzls Kollegin Doris Bures und Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger. Er ortet eine "Klientelpolitik" für Unternehmer und Bauern, Grünen-Bundessprecher Alexander Van der Bellen einen "dramatischen Sozialabbau". Auch die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften kritisieren die gestiegenen Förderungen für Landwirte und Familien sowie die Senkung der Arbeitgeberbeiträge "auf Kosten der Arbeitnehmer". Die Interessenvertreter monieren, dass der "soziale Friede gefährdet" werde.

"Noch nie war der gesellschaftliche Konsens in Österreich so beschädigt wie nach diesen 100 Tagen", so Van der Bellen. Das Land sei "politisch tief gespalten". All jene, die "dieser unheiligen Regierungskoalition" kritisch bis ablehnend gegenüber standen, würden bestraft: Zivildiener, soziale Einrichtungen, Kulturvereine, Fraueneinrichtungen und nicht-staatliche Organisationen. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer spricht von "politischem Mobbing". Die demokratische Meinungsvielfalt werde eingeschränkt.. "Es gilt wachsam zu sein, Demokratie lebt auch von Opposition und Kritik". Als "pseudopatriotische Mobilisierung" wertet Gusenbauer die mögliche Volksbefragung zu den EU-Sanktionen. Die Regierung wolle "politisches Kleingeld wechseln". Sie sei nicht an der Aufhebung der Maßnahmen gegen Österreich interessiert, da sie auf einer "nationalpopulistischen Welle" schwimme, so Van der Bellen.

Zum innenpolitischen Inventar zählen seit 4. Februar die Demonstrationen der außerparlamentarischen Opposition, die in der Bundeshauptstadt nach wie vor täglich stattfinden.