Zum Hauptinhalt springen

Eine demokratische(re) Welt ist noch ein Wunschtraum

Von Andreas Raffeiner

Gastkommentare
Andreas Raffeiner lebt als Historiker, Autor, Herausgeber und Rezensent in Bozen.
© privat

Warum man China in die Schranken weisen muss (oder auch nicht).


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ob die noch nicht zur Gänze ausgestandene Corona-Pandemie die Kluft zwischen Arm und Reich größer machen wird, sei einmal dahingestellt. Auf alle Fälle kann die Investitionsoffensive in ärmere Länder als Resultat schlechthin des vergangenen G7-Gipfels in Cornwall umrissen werden. Ob der viel zitierte Königsweg auf diese Weise erreicht wird, steht ohne Zweifel auf einem anderen Blatt Papier. Und es wäre höchst riskant, diese längst schon notwendige Maßnahme als alternatives Seidenstraßenprojekt zu titulieren. So weit ist man bei aller Ehrerbietung rund um die Leistungen der bestsituiertesten Staaten der Erde noch lange nicht.

Wenn man die Ansichten der Führung in Peking unter die Lupe nimmt, erkennt man, dass die in Cornwall tagende kleine Gruppe nicht mehr über das Recht verfügt, Entscheidungen im globalpolitischen Zusammenhang zu treffen. Das Reich der Mitte hat verstanden - Corona hin, Corona her -, dass im Rest der Welt die Stimmung zu seinen Ungunsten gekippt ist.

Das bedeutet wiederum im Klartext, dass China keinesfalls mehr nur noch als Handelspartner vernommen wird. Die G7-Staaten und andere Demokratien in Asien und Afrika haben erkannt - und das kann man als Dimension der Konfrontation auslegen -, dass sie mit dem Gastgeberland der im Februar 2022 über die Bühne gehenden Olympischen Winterspiele in einem Wettkampf der Systeme und Ideologien stehen. Wer hier das erste Tor schießt, muss - ganz im aktuellen EM-Jargon - nicht unbedingt gleich als Sieger vom Platz gehen.

US-Präsident Joe Biden preschte mit seiner Anregung, eine Investitionsoffensive in ärmeren Ländern in die Wege zu leiten, vor. Gerade diese Absicht deutet darauf hin, dass man keineswegs länger gewillt ist, China die Weltherrschaft gewissermaßen kampflos zu überlassen, oder andersherum halbherzig zuschauen möchte, wie das Reich der Mitte immer mehr Länder vor sich herschiebt und in sein machtzentriertes Einflussgebiet zieht. Europa hat klargemacht, dass die Handlung gegen China keine Gegenoffensive per definitionem darstellt, sondern einer Sichtbarmachung entwicklungspolitisch gelenkter Aktivitäten mehr als nur gleichkommen soll.

Es gibt in der Tat große Differenzen im Umgang mit China. Die Palette ist bunt wie das Leben selbst und reicht von einer vereinigten Verbundenheit nach der Ausdrucksweise der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und geht bis zu einer Stärkung der Abgrenzung. Die mittlerweile gemeinsam geäußerte Beanstandung der unguten Menschenrechtslage in Hongkong und Xinjiang wird zum heißen Eisen. Ein Bumerang ist es nicht, denn viele Staaten haben eingesehen, dass man eine regelbasierte multilaterale Ordnung bei weitem noch nicht erreicht hat. Ein Aufbruch ist indessen noch nicht in Sicht; und gar einige sprechen davon, dass der Brexit kaum Nutzen hervorgerufen habe.

Die Disharmonie zwischen den abendländischen Nuklearmächten ist gewachsen. Fast scheint es so, als ob der Weg zu einer demokratischen Welt aufgrund der Corona-Pandemie ansatzweise verbarrikadiert worden sei. Eine Ausgewogenheit mit Strahlkraft sieht leider anders aus.