Der Kriegsreporter Kurt Pelda über den Hunger in Aleppo, teure Reportagen aus Krisengebieten und Zukunftsaussichten für Syrien.
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"Wiener Zeitung": Sie berichten häufig aus Syrien, die meisten Journalisten arbeiten jedoch von Europa aus. Viele vertrauen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London. Ist das eine zuverlässige Quelle?
Kurt Pelda: Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte ist eine der zuverlässigsten Quellen. Sie ist zwar eindeutig der Opposition nahe, hat aber immer wieder auch deren Menschenrechtsverletzungen ans Licht gebracht. Hinzu kommt, dass sie ein großes Netz in ganz Syrien hat. Selbst Leute wie ich, die sich einigermaßen auskennen, haben nur regionale Netze.
Die Situation in Aleppo und Damaskus eskaliert. Ist der Höhepunkt der Gewalt schon erreicht?
Im Osten Aleppos drohen rund 200.000 Leute zu verhungern. Das gilt auch für die belagerten Gebiete in Damaskus und jene, die vom IS gehalten werden. Um sie werden sich die syrischen Rebellen, die Kurden und das Regime von Bashar al-Assad streiten. Wir sind also noch nicht auf dem Talgrund angekommen.
Gab es in diesem Konflikt einen Moment, an dem es anders kommen hätte können, wenn der Westen anders gehandelt hätte?
In der Anfangsphase, im Sommer 2012, hätte man diesen Konflikt wahrscheinlich noch lösen können. Danach gab es zwei Turningpoints. Als klar wurde, dass keine Hilfe von außen kommt, dass es also keine Flugverbots- und Sicherheitszone, kein Eingreifen der westlichen Mächte geben wird, traten die Islamisten auf die Bühne. Das war sicher ein entscheidender Moment zum Vorteil des Regimes. Für Assad war klar, dass der Westen der Opposition nicht wirklich unter die Arme greifen wird, weil auch Islamisten darunter waren. Der große Turningpoint war US-Präsident Barack Obamas Red Line und die Giftgasangriffe von August 2013 (Obama hatte dem syrischen Regime militärische Konsequenzen im Falle des Einsatzes von chemischen Waffen angedroht, das aber nicht wahrgemacht, Anm.) Für mich war das der letzte Moment, wo man die Sache hätte stoppen können. Danach war die Glaubwürdigkeit des Westens dahin, andere Akteure wurden in dieses Vakuum hineingezogen: der IS, die Saudis, die Iraner und Russen.
Sie meinen also, die USA hätten damals ihr Wort halten müssen. Was ändert sich nun mit Donald Trump? Assad hat bereits begonnen, sich ihm anzunähern. Steht ein Wandel der US-Syrienpolitik bevor?
Die Frage ist, ob Trump seine Ankündigungen umsetzen wird oder ob ihn doch die Realität einholt. Vielleicht dauert es wirklich nur noch 30 Tage, den IS zu besiegen, sobald er Präsident ist. Ich glaube aber, Trump war in seinen Aussagen extrem naiv. Er hat das Grundproblem dieses Konflikts nicht verstanden und kann es daher auch nicht lösen. Jene, die in Syrien eingreifen – die Russen, Iraner und vielleicht bald auch Trump – werden die Kosten nicht zu tragen haben. Kein Flüchtling geht nach Moskau oder in den Iran. Sie fliehen in die Türkei oder in den Libanon und irgendwann nach Europa. Daraus folgt die Notwendigkeit, dass sich die Europäer von den USA lösen und beginnen, ihre eigenen Interessen zu vertreten.
Kann Trump sich überhaupt mehr in Syrien beteiligen? Immerhin will er gute Kontakte zu Putin pflegen und eine ganz andere Politik verfolgen als Obama?
Meine große Angst – und auch meine Voraussage – ist, dass er zusammen mit den Russen und Assad den IS bekämpfen will. Bisher war Moskau vor allem dazu da, Aleppo zu belagern, wo der IS nicht vertreten ist. Weder Assad noch die Russen haben den IS im großen Stil bekämpft. Die einzige Ausnahme war Palmyra. Ich befürchte, dass Trump alle zusammen gegen den IS einspannt und sich dann von Russen und Iranern über den Tisch ziehen lässt. Am Schluss wäre das ein Kampf gegen die gesamte Opposition, nicht nur gegen den IS und Al-Kaida. Das würde das Problem noch verschlimmern.
Sie sind erst kurz aus der nordirakischen IS-Hochburg Mossul zurück, wo die irakische Armee und ihre Verbündeten eine Militäroffensive zur Eroberung der Stadt gestartet haben. Wie war Ihr Eindruck?
Wenn man Syrien Flugzeuge oder Hubschrauber hört, fühlt man sich bedroht. Das ist im Irak ganz anders. Tag und Nacht ist der Himmel ist voll von Aufklärungsflugzeugen, Drohnen, Kampfjets, Kampfdrohnen, Spionageflugzeugen. Das Verrückte ist, dass die proiranischen schiitischen Milizen mit ihren religiösen Flaggen genauso Dschihadisten sind wie der IS oder Al-Kaida, nur die schiitische Version davon. Die Schiiten sind zwar etwas weniger radikal und weniger ideologisch, aber was Brutalität betrifft sind sie genau gleich. Und sie haben moderne US-Waffen. Die Amerikaner waren so blöd, mit ihrer Aufrüstung der irakischen Armee letztlich auch diese schiitischen Milizen aufzurüsten, die nicht mehr unter der irakischen Zentralregierung stehen, sondern auf Befehle aus Teheran warten. Mit diesen Milizen will sich der Iran ein Einflussgebiet von der eigenen Grenze bis ans Mittelmeer und vor allem an die israelische Grenze sichern. Das halte ich für eine Dummheit historischen Ausmaßes: Die Amerikaner haben es dem Iran – auch mit dem Atomabkommen – ermöglicht, ihre Regional- und Machtpolitik direkt bis an die israelische Grenze auszudehnen. Wenn das gelingt, dann haben wir in den nächsten Jahren eine Atommacht direkt an der israelischen Grenze und dann möchte ich die amerikanischen und europäischen Politiker sehen, die immer gesagt haben, Assad sei das kleinere Übel.
Wie viel Geld brauchen Sie, um aus dem Irak oder Syrien zu berichten?
Wenn ich mit den Kurden in Syrien unterwegs bin, kostet das hundert Dollar pro Tag, ohne die Anreise – das ist günstig. Man ist zwar eingebettet, aber die sind recht liberal und zeigen einem fast alles, außer vielleicht die Gefängnisse. Begleitet man die arabischen Rebellen – was ich für mittlerweile unmöglich halte – muss man Bodyguards bezahlen und kommt auf insgesamt 1000 Dollar pro Tag. Im Irak waren es rund 500 Dollar. Da waren aber auch keine Leibwächter nötig, denn dort war ich mit Milizen, Polizei oder Armee unterwegs.
Sie sprachen eben auf einer Konferenz des South East Europa Media Forum (SEEMF) in Belgrad. Ihr Kollege, Ruslan Trad aus Bulgarien, erzählte, dass er mit kurdischen Kämpfern in Syrien unterwegs war. Als der IS näherrückte drückten sie ihm eine Waffe in die Hand mit den Worten: "Du weißt, wie du schießt." Kann man in so einer Situation überhaupt richtig reagieren?
Ich glaube nicht, dass kämpfen der richtige Weg ist. Wenn allerdings der Islamische Staat der Gegner ist – und man weiß, was der mit Journalisten macht – dann ist kämpfen das kleinere Übel. Eigentlich sollten sich Journalisten in diesen Gebieten aber bemühen, gar nicht erst in solche Situationen zu kommen. Vor kurzem lieferte sich die irakische Armee vor Mossul ein Gefecht mit IS-Scharfschützen auf einer Autobahn. Nachdem die Sniper geflüchtet waren, kamen die Journalisten wieder aus ihren Löchern hervor. Man sah nicht weit, es war nebelig und der IS hätte jederzeit zurückkommen können. Die Journalisten haben nicht realisiert, dass sich die irakische Armee einfach davongemacht hatte. Ich sagte zu meinem Fixer (Einheimische Vertrauenperson, die die Tour organisiert, Anm.): "Siehst du, was hier passiert? Wir sind die Letzten hier vorn an der Front. Lass uns gehen, aber schnell!" Wenn man gut beobachtet und etwas Erfahrung hat, dann kommt man also gar nicht so schnell in so eine Situation. Ich habe etliche gefährliche Situationen erlebt, aber keine, bei der ich dachte, da komme ich nicht mehr hinaus. In eine belagerte Stadt hineinzugehen wie Aleppo, das finde ich verrückt, das würde ich nicht tun.
Wann wussten Sie, dass sie Kriegsreporter werden wollen?
Ich war 19, als ich zum ersten Mal in ein Kriegsgebiet fuhr. Ich war, was man heute einen Dschihadisten nennen würde. Ich ging nach Afghanistan zu den Mudschahedin, eigentlich mit der Absicht, dort gegen die Sowjets zu kämpfen. Als ich die Leute kennenlernte und sah, wie sie ausgebildet werden, merkte ich, dass das für mich nicht in Frage kommt. Helfen wollte ich den Leuten aber doch. Ganze Täler waren kaputtgeschossen, systematisch zerstört. So etwas habe ich erst jetzt wieder in Syrien gesehen. Da kam mir die Idee, Journalist zu werden. Wenn man seine wiedergibt, kann man noch am ehesten etwas machen, um die Situation zu beeinflussen.
Gilt das noch? Die ganze Welt wird täglich mit Bildern aus Aleppo konfrontiert – ohne Konsequenzen.
Es gab Zeiten, da konnte man mehr tun – etwa in Afghanistan im Kalten Krieg. In Darfur im Sudan, während des ersten Genozids des neuen Jahrtausends, haben alle Berichte nichts genutzt. Jetzt in Aleppo und bei den Giftgasangriffen in Syrien ist es genauso. Das ist unglaublich frustrierend. Meine einzige Befriedigung dabei ist, dass ich sagen kann: Ich habe es immer gesagt, beklagt euch nicht, wenn dann noch mehr Flüchtlinge kommen. Dabei ist das nicht einmal das Schlimmste – immerhin haben die es raus geschafft. Das ist kein Vergleich damit, was gerade in Aleppo passiert. Dort werden die Leute verhungern. Jetzt kommt außerdem der Winter. Die Parkanlagen sind schon abgeholzt, da gibt es nichts mehr zu holen.
Sie sind nicht sehr optimistisch. Wie lautet ihre längerfristige Prognose?
Sollte es Assad gelingen, einen Großteil des Landes zurückzuerobern, ohne, dass es zu einer politischen Machtaufteilung kommt, dann kann man das Problem nicht lösen. Die Mehrheit, 80 Prozent sunnitische Muslime, sind von der Macht ausgeschlossen. Assad ist nicht der Typ, der politische Konzessionen eingeht, zudem stehen die Iraner hinter ihm. Sie werden eher Schiiten aus Afghanistan, Pakistan und dem Irak in Syrien ansiedeln, um die Demografie zu verändern, als mit der sunnitischen Mehrheit einen Kompromiss einzugehen. Da sind weitere Konflikte programmiert, die in andere Länder übergreifen, etwa auf die Türkei. Das kann die gesamte Region in Brand setzen, was teilweise schon passiert ist. Amerika ist auf dem Rückzug, Russland ist eine Wirtschaftsmacht von der Größe Spaniens – die werden die Probleme nicht lösen können, dazu fehlt ihnen das Geld. Wer macht es dann? Die Saudis, die Iraner? Alles unsympathische Regime. Das ist der Grund für meinen Pessimismus.
Kurt Pelda, geboren 1965 in Basel, schrieb nach seiner Promotion in Wirtschaftswissenschaften u.a. für die Financial Times und die Neue Züricher Zeitung. Seit 2010 arbeitet er als freier Journalist mit Fokus auf Nordafrika und den Nahen Osten. In Belgrad war er auf Einladung des South East Europa Media Forum (SEEMF).