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Nähen, Häkeln, Backen - Handarbeiten sind wieder gefragt. Auf der "Kuchen- und Tortenmesse" sowie der "Kreativmesse" in Wels kann man sich in Workshops dazu anregen lassen.
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Wenn einem die große Welt um die Ohren fliegt, wenn man von Flüchtlingen, Griechenland und der Ukraine, der Arbeitslosigkeit und der Bildungskrise nichts mehr hören will, dann strickt und häkelt man sich seine eigene kleine Welt zurecht, oder man fängt wieder an zu backen. Man besinnt sich auf das, was man selber kann, probiert aus, was geht. So ist der Mensch, so war er immer.

In Wels fand Mitte April die zweite Kreativmesse statt, in Kooperation mit der Kuchen- und Tortenmesse - ja, so etwas gibt es. Am Hauptbahnhof steige ich in eine alte Diesellokgarnitur, die Richtung Grünau im Almtal fährt. Es sind zwei Stationen bis zur Messe-Wels, mit mir im Waggon sitzt der "Diktator", ein älterer Herr, der ganz gelb im Gesicht ist und mit gleich zwei reschen, resoluten Damen (hier sind alle Damen resch und resolut) reist. Die eine ist seine Gattin, versichert er mir, die andere arbeitet seiner Gattin zu, um ihm alle kulinarischen und sonstigen Wünsche zu erfüllen. Zwinker, zwinker.
In Wahrheit hat der "Diktator" natürlich nichts zu sagen, so wie alle Männer, die sich zu dieser Veranstaltung der Internationalen Backwarensekte trauen. Strenger nach Geschlechtern getrennt ist nur noch das Dorfleben am Hindukusch. Der Alte und ich hängen uns an die reschen Damen dran, die sich hier eigentlich auskennen müssten, weil sie ja letztes Jahr schon hier waren, aber Halt! "Letztes Jahr war alles anders!"
Da ist es gut, wenn man so etwas wie einen Fixpunkt hat, an dem man sich orientieren kann: Guschelbauer Schaumrollen sind mit ihrem übergroßen, pinken Verkaufswagen auch schon zum zweiten Mal hier, dafür wurde der Seniorenrabatt abgeschafft ("Frechheit!").
"Freihand Stricken"
Um Punkt 9.30 Uhr beginnen die ersten Workshops für "Schal filzen", "Freihand Stricken" oder "Tonkeramik-Kugeln", und wir sprechen hier bitte nur von der Kreativ-Messe. An der Kuchen- und Tortenfront gibt es Kurse zu den Themen "Gesichter modellieren", "Glasmalerei auf Torte" oder "Torte Schnitzen Frosch", in der Preisklasse ab 28 Euro aufwärts. Für den Diktator wird sich das alles nicht ausgehen, also bleibt er im Foyer, wo schon ein paar andere Diktatoren sitzen und auf Anweisungen der Gattinnen warten.
Ich wage mich solo in die Halle und schaue mir zunächst ein paar Nähmaschinen an. Mir kommt meine Oma in den Sinn und ihr gusseisernes Teil der Marke Singer, ungefähr so alt wie meine Oma. Aber nun wären es "vor allem 14-jährige Mädchen, die wieder begeistert nähen", bekomme ich zu hören, allesamt Kinder vielleicht der strickenden, häkelnden Mütter aus Berlin-Mitte, die bei "manufactum" einkaufen und ihre Sackkleider selbst entwerfen. Der "automatische Fadenabschneider" ihrer Jukis, sagt die Nähmaschinen-Dame, markiere übrigens den letzten Sprung in der Entwicklung der Maschine, denn mit dem neuen Fadenabschneider erspare man sich das dauernde Faden abschneiden!
Übrigens Berlin: Eine ausgesprochen sympathische Frau aus dieser Stadt ist mit ihrem Label wäschekult hier, sie nähe selbst, seit sie "um die Arbeitsbedingungen der Näherinnen, die für große Konzerne und Labels nähen", wisse. "Ich will da einfach nicht mehr mitmachen!", sagt sie, und so fertigt und verkauft sie nun T-Shirts ab 69,- aufwärts, was anfangs natürlich heftig klingt, aber "bedenkt man die Arbeitskosten usw. ist das eigentlich bescheiden kalkuliert." Recht hat sie!
Bei meiner Größe (195 cm) veranschlagt sie 109 Euro für das Pyjamaoberteil, kommt noch die Hose dazu, sind wir bei 200,-, allerdings "wenn Sie den mal anhaben, wollen Sie ihn nicht wieder ausziehen". Bevor ich gehe, verrät sie noch, dass "Wels schwierig" sei, aber das ist mir nichts Neues.
Ich unterhalte mich angeregt mit der "Extremhäklerin" Claudia Neugebauer, die "seit 45 Jahren" strickt und häkelt, Guerilla Knitting oder auch Yarn bombing heißen ihre Disziplinen und sind eine Form der Street art, bei der Gegenstände im öffentlichen Raum (Bäume, Reisebusse, Zugsgarnituren, gerne auch Fahrräder) durch Häkeln und Stricken verändert werden. Wenn der Diktator nicht aufpasst, fährt er am Abend mit einer Diesellok nach Hause, die einen Pullover trägt, denn das ist der Trend.
Älter, aber immer gut sind heimische Dirndl, denn"ein Dirndl passt einer jeden". Das freut Erni Mittermayer von Erni’s Stoffgeschäft, die ganze Trachtengruppen oder Musikvereine einkleidet, oder die Landwirtschaftsschule in Altmünster. Oberstes Gebot beim Dirndlnähen: "Kein Reißverschluss!" Und in einer Brandrede wendet sie sich auch streng gegen die Unsitte namens "Balkonien", wo sich Damen das Dekolltee hinaufschnüren, dass man darauf Topfpflanzen abstellen könnte. In Ernis Dirndl kommen jedenfalls nur Baumwolle, Leinen und Seide, und die paar Knöpfe, die sie auch gleich selbst herstellt.
Marktsättigung
Freilich kennt die Welt der Kreativen auch abgehängte Meister: Ägidius Gamsjäger baut gegen alle konfessionellen Trends Krippen, aber da es immer weniger Katholiken gibt, ist Marktsättigung sein großer Feind. Der blaue Bürgermeister von Wels wird daran nicht viel ändern können, also bleibt dem Krippenbauer nur der Trost, dass ihn "in Eferding jeder" kennt. Aber wer kennt Eferding?
Ich bewege mich in Richtung Kuchen und Torten, die im anderen Teil der Halle ausgestellt sind und allesamt einer strengen Vorgabe genügen müssen: Alles, was drin ist, muss man essen können!
"Es war Nathalie Geyer von der Kuchenwelt", erzählt Kathrin Wiesmayer, die sie "auf das Potenzial Kuchen, Torte, Kreativ aufmerksam gemacht" hätte. Wiesmayer ist Chefin der Messe Wels, und letztes Jahr kamen 26.000 Besucher, und Samstagmittag musste zugesperrt werden, wegen Überfüllung. Extrem viele Tirolerinnen wären angereist, erzählt sie, vielleicht wegen der langen Winter in den engen Tallagen, dazu Bäckerinnen und überraschend viele junge Leute. Heuer sind bereits zwei Aussteller aus Venezuela angereist, Deutschland ist sowieso prominent vertreten, Ungarn, Engländer mit Kuchenausstechern. Sie selbst kocht natürlich auch gern, am liebsten Hausmannskost bei den Eltern.
Am Podium tut sich was. Frau Silvia Fischer präsentiert ihr Buch "Echte Kuchenliebe", sie trägt etwas zu enge Jeans zu einem etwas zu großen Schal. Natürlich waren es "die Lieblingsrezepte von der Oma", die sie irgendwann nachgebacken hat, aber es war ein "Aufenthalt in der Toskana mit Bilderbuchkulisse", der sie auf die Idee gebracht hat, daraus ein Buch zu machen.
In einer anderen Liga spielt Peggy Porschen. Sie ist "Bäckerin der Stars" im noblen Londoner Stadtteil Belgravia, und wenn Elton John eine Torte braucht, ruft er sie an. 1976 in Deutschland geboren, besuchte Frau Porschen als ehemalige Stewardess in England die Kochschule Le Cordon Bleu, spezialisierte sich aber in der Folge nicht auf heimische Fleischgerichte, sondern auf Patisserie. Man sieht also: Es geht was! Ihr Seminar "Zuckerblumen - Edelwicken" ist mit 250 Euro für vier Stunden am absolut höchsten veranschlagt. Weniger gut läuft es für Veronika Sturdy und ihre "Playful inks". (45 Euro für fünf Stunden). Nur eine Dame ließ sich locken, Kursteilnehmerin und Kurshalterin sind aber trotzdem gut gelaunt, als ich mich zu ihnen hinein wage: "Sit down! This is changing your life!" Mal sehen.
Gebackener Schmuck
Veronika ist gebürtige Tschechin und lebt auch in London, aber nicht in Belgravia. Durch eine Pastamaschine presst sie etwas, das wie Plastilin aussieht, aber Polymer Clay ist. Daraus wird sie dann Schmuck basteln, und irgendwann wird der bei 120° im Ofen gebacken, bevor sie ihn für wohlfeile 30 Euro auf den Markt wirft. Alle Osteuropäerinnen wären ausnahmslos kreativ, schwärmt sie, was, wie sie schließlich mit saurer Miene einräumt, aber auch das Problem an der ganzen Sache ist: Sie ist nicht die einzige, die aus Polymer Clay Schmuck macht! "They are pulling prices down. The market ist full of it!" Die Welt wird eben überall kleiner.
Im Foyer sehe ich den Diktator wieder, der mit den anderen Ehemännern bei Leberkäse und Bier auf Anweisungen der Gattinnen wartet, wie es weiter gehen soll. Ich flüchte aufs Herrenklo, das sich als Rückzugsort vom Rückzugsort erweist. Am Bahnsteig, wo ich auf die Diesellok warte, die mich nach Wels zurückbringen soll, sehe ich Gruppen müder Frauen, die alle Kurzhaarschnitt tragen und mit Sackerl voll Gekauften herumlaufen. Und alle beschweren sich darüber, dass "sie das heuer so blöd gemacht haben", und dass man das, "was man eigentlich gebraucht hätte", nicht gekriegt hat! Als die Diesellok endlich kommt, trägt sie keinen Pullover. Sie wäre ein Foto wert ge-
wesen.
Manfred Rebhandl, geboren 1966, lebt in Wien. Er schreibt Krimis und Reportagen für Zeitungen.