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Eine eigene Ratingagentur für Europa

Von Andreas Raffeiner

Gastkommentare

Die EU muss sich von den USA lösen und eigenständig agieren.


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Zugegeben, die USA haben Europa den Frieden gebracht, der seit 73 Jahren andauert. Aber zu welchem Preis? Ist Europa heute souverän oder immer noch auf die einzige verbliebene Weltmacht angewiesen? Die Antwort darauf ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Ratingagenturen "made in USA" haben seit der Eurokrise Hochkonjunktur und bewerten nach ihrem Gutdünken die Bonität der europäischen Staaten. Das Daumensenken hat vielerorts zu einem Flächenbrand geführt, der lange noch nicht erloschen ist.

Aus welchem Grund schaut die Europäische Union tatenlos zu? Kann oder darf sie ihre Mitgliedstaaten nicht selbst auf deren Wirtschaftlichkeit und Kreditwürdigkeit hin überprüfen? Muss sich die ökonomische Supermacht USA in innereuropäische Angelegenheiten einmischen? In der europäischen Staatengemeinschaft, in der Gurkenkrümmungen, Plastikflaschen und Glühbirnenstärken mehr zählen als gemeinsame Werte, ist man leider in der Zwischenzeit meilenweit davon entfernt, eine eigene und auf individuellen Kriterien fußende Ratingagentur als weltweit agierende Institution auf die Beine zu stellen und damit den USA den Kampf anzusagen. Es gäbe zwar inzwischen mehr als zwei Dutzend europäische Ratingagenturen, wirklich durchsetzen konnte sich aber bisher keine von ihnen. Selbst die Europäische Zentralbank akzeptiert nur Ratings der drei großen US-Agenturen.

Glaubwürdigkeit tut not! Kein Land der Welt überprüft die USA, China, Indien, Japan und andere außereuropäische Märkte, die am internationalen Kuchen mitnaschen und anderen Staaten bloß winzige Krümel hinterlassen. Dass in einigen Ländern die Menschen die Hegemonialmacht der USA nicht dulden und wegen der Einstufung ihrer Wirtschaft auf Ramschniveau auf die Straße gehen, ist mehr als nur selbstverständlich.

Man muss auch die Antwort auf die Frage finden, ob politisch motivierte Ratings berechtigt sind oder nicht. Ganz unpolitisch wird es nicht gehen. Aber wenn EU- und US-Interessen aufeinanderprallen, können Konflikte entstehen. Es sollte daher im Interesse aller sein, möglichst objektiv zu überprüfen und gerecht im Umgang mit den anderen Märkten zu sein. Denn die Welt gehört nicht nur den USA.

US-Präsident Donald Trump hat nach seiner Wahl die Marschrichtung "America first" vorgegeben, was im Umkehrschluss nicht "Europe second" heißen muss. Europäische Ratingagenturen zur ökonomischen Balance des Weltmarkts wären kein Spiel mit dem Feuer, sondern nötiger denn je. Das wäre wohl mehr als nur ein hehrer Wunsch für das Jahr 2019. Damit aber eine allgemein akzeptierte europäische Agentur das Licht der Welt erblicken kann, müssen Wirtschaft und Politik Hand in Hand gehen. Die Hoffnung darf nicht aufgegeben werden, wenngleich die Unzufriedenheit über die aktuelle Lage Überhand gewinnen und sich dies im Wählerwillen im Rahmen der EU-Wahlen zeigen könnte.

Eine eigene europäische Ratingagentur soll und muss alle Ressourcen dafür einsetzen, einen festen Platz an der Schnittstelle von Angebot und Nachfrage zu avisieren und in der Folge die Bonitätsprüfung der verschiedenen außereuropäischen Staaten zu realisieren.

Andreas Raffeiner ist im Geschichte-Doktoratsstudium in Innsbruck und arbeitet als freiberuflicher Redakteur, Rezensent und Referent in Bozen.