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Eine Einbahnstraße in die Armut

Von Stefan Melichar

Wirtschaft

"Erwerbsarbeit muss sich lohnen." | Scharfe Kritik an Rückzahlungspflicht. | Wien. Österreich kämpft seit Jahren gegen das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit. Gudrun Biffl, Arbeitsmarktexpertin beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), sieht dabei im Bereich der Sozialhilfe Nachholbedarf. Das jetzige System setze zu wenig finanzielle Anreize, ins Erwerbsleben einzusteigen.


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"Erwerbsarbeit muss sich lohnen", erklärt Biffl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Als Kern des Problems bezeichnet die Wifo-Expertin die Ausgestaltung der Sozialhilfe als Darlehen. Der Mindestlohn für einfache Tätigkeiten liege nicht merklich über dem Richtsatz für die Sozialhilfe. Das habe zur Folge, dass nach dem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt oft alles, was über die Höhe der zuvor bezogenen Sozialhilfe hinausgeht, zurückbezahlt werden muss. Dementsprechend gering sei der Anreiz, wieder arbeiten zu gehen.

"Wieder Fuß fassen"

Darüber hinaus beklagt die Expertin, dass Vermögenswerte von Sozialhilfeempfängern wie Autos oder Eigentumswohnungen an die jeweiligen Gemeinden fallen. Gerade diese Dinge seien Voraussetzung dafür, "dass Leute wieder Fuß fassen können". Die Arbeitslosigkeit verfestige sich, die Folge sei Verarmung "auf unterstem Niveau".

Sozialhilfe beziehen laut Biffl - neben zum Beispiel älteren Menschen in Pflegeheimen - vor allem "benachteiligte Personengruppen" wie Geringqualifizierte und Alleinerzieher. Darüber hinaus würden immer mehr Langzeitarbeitslose, die mit der Notstandshilfe nicht auskommen, um eine solche ansuchen. Laut Sozialministerium haben Ende 2004 insgesamt rund 170.500 Personen Sozialhilfe erhalten. Mitunter seien, so Biffl, ganze Familien betroffen: Die meisten Bundesländer würden nämlich - was die Tilgung der Sozialhilfe-Schuld angeht - auf Familienmitglieder zurückgreifen. Gehören diese ebenfalls einer Problemgruppe am Arbeitsmarkt an, könnten die Folgen dramatisch sein.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit daran, Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe und Sozialhilfe organisatorisch zu bündeln. Davon erhofft sich Biffl zumindest eine Verbesserung bei der - ihrer Meinung nach - desolaten Datenlage, die kaum koordinierte Maßnahmen zulasse.

Der Wunsch der Wifo-Experten, im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen am Darlehens-Prinzip zu rütteln, hat sich nicht erfüllt. Letztendlich würden, so Biffl, die Bundesländer - in deren Verantwortung die Sozialhilfe ja fällt - diesen Abschreckungsfaktor beibehalten wollen. Außerdem gebe es Länder, die über die Belastung von Angehörigen und das Konfiszieren von Vermögenswerten bei der Sozialhilfe mehr Einnahmen hätten als Ausgaben.

Mehrausgaben nötig

Biffl verweist darauf, dass eine Neukonzeption zwar kurzfristig Mehrausgaben nach sich ziehen würde, langfristig aber zur Erhaltung der Wohlfahrt und des Wirtschaftswachstums beitragen könne.