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Eine einzige Stimme entschied

Von Simon Rosner

Politik

Enger Schuldspruch im Küssel-Prozess wirft alte Fragen über Laienrichter auf.


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Wien. "Wir werden diesen Staat zertrümmern." Es war unter anderem dieser, in einem TV-Interview getätigter Satz, der dem Nationalsozialisten Gottfried Heinrich Küssel im Jahr 1994 eine elfjährige Gefängnisstrafe wegen Wiederbetätigung eingebracht hat. Seinem Ziel kam er nie auch nur einen Zentimeter näher, doch sein Weg könnte Küssel erneut ins Gefängnis bringen.

Am späten Donnerstagabend wurde Küssel am Wiener Straflandesgericht zu neun Jahren Haft verurteilt. Da seine Verteidigung umgehend Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet hat, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Die beiden Mitangeklagten Felix B. und Wilhelm A. wurden zu sieben beziehungsweise viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Geschworenen sahen es als erwiesen an, dass die Angeklagten in Verbindung mit einer neonazistischen Homepage standen, Küssel habe diese zwar nicht betrieben, aber initiiert, sprachen die acht Laienrichter.

Der Schuldspruch in diesem Indizienprozess fiel mit 5:3-Stimmen aber überaus knapp aus. Hätte nur ein weiterer Geschworener Küssel für nicht schuldig befunden, wäre dieser ("im Zweifel für den Angeklagten") vom Gericht freizusprechen gewesen. Neun Jahre Haft versus Freispruch, und alles hing nur an einer einzigen Stimme.

Für den Strafrechtler Klaus Schwaighofer, er ist Institutsvorstand an der Uni Innsbruck, legt diese enge Entscheidung ein Grundproblem von Geschworenenverfahren offen. "Schuld- und Freispruch können sehr eng nebeneinanderliegen, um Haaresbreite hätte es einen Freispruch gegeben". Auch aus diesem Grund setzt sich Schwaighofer für eine Reform derartiger Verfahren ein, zumal man bei Laienrichtern "nicht immer ein gutes Gefühl" habe und Laien mittels Rhetorik und Eloquenz eher beeinflussbar seien als Berufsrichter. "Deshalb gibt es auch einen Kreis von Anwälten, die dieses System verteidigt, weil sie dadurch bessere Chancen für sich sehen."

Berufsrichter entscheiden gemeinsam mit Laien

Schwaighofer glaubt dennoch, dass es in "näherer Zukunft", wie er sagt, eine Reform geben wird. "Ich denke, es geht in Richtung zwei Berufsrichter und fünf, sechs Schöffen." Zwar sind Schöffen ebenfalls Laienrichter, doch sie würden gemeinsam mit den Berufsrichtern ihre Entscheidung treffen, nicht alleine, und dem Spruch dieses Gremiums könnte auch eine Begründung beigefügt werden. Derzeit gründet sich das richterliche Urteil ausschließlich auf den "Wahrspruch" der Laien, die ihre Überlegungen lediglich rudimentär, etwa mit dem Hinweis auf Zeugenaussagen, begründen müssen. "Damit kann man aber nichts anfangen", sagt der Rechtswissenschafter.

Aufgrund der fehlenden Begründung ist eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit vermutlich auch notwendig. Vor drei Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Urteile ohne Begründung als unvereinbar mit der Menschenrechtskonvention gewertet. Damals ging es zwar um die Gerichtsbarkeit in Belgien, allerdings sah etwa Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk auch in Österreich Handlungsbedarf.

Reformpapier wartet noch auf eine Behandlung

Wirklich viel ist seither aber nicht passiert. Immerhin hat vor Jahren ein Evaluierungsbericht für eine Strafprozessreform den Weg vom Justizministerium ins Parlament gefunden, doch dort liegt sie nun mehr oder weniger unberührt. Von Beschlüssen noch in dieser Legislaturperiode sei nicht auszugehen, heißt es aus dem Ministerium, als nächster Schritt müsste sich der Justizausschuss damit befassen. "Wir wollen die Diskussion starten", sagt Sven Pöllauer, Sprecher von Justizministerin Beatrix Karl.

Einen Wunsch, wie eine mögliche neue Gerichtsbarkeit bei politischen Verbrechen wie im Fall von Küssel sowie bei Verbrechen mit Mindeststrafen von fünf Jahren aussehen soll, will das Ministerium jedenfalls nicht formulieren.