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Eine Entfremdung auf Raten in Texas

Von Alexander Dworzak

Politik
In Texas hat seit 1980 stets der republikanische Kandidat bei Präsidentschaftswahlen gesiegt.
© reuters/Nakamura

Der US-Bundesstaat ist Inbegriff der republikanischen Hochburg. Doch die Demokraten holen zusehends auf.


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Im Jahr 1976 setzte Donald Trump zu seinem ersten großen Immobilienprojekt an. Der damals 30-Jährige tüftelte am Erwerb eines Hotels aus der Konkursmasse einer Eisenbahngesellschaft. Der Deal in seiner Heimat New York gelingt, auch weil es Trump bei Verhandlungen mit der Stadt mit der Wahrheit nicht immer genau nimmt.

1976 markiert auch das Jahr, in dem die Demokraten zum bisher letzten Mal bei einer Präsidentschaftswahl in Texas gewinnen. Jimmy Carter siegt im "Lone Star State" wie auch landesweit. In den darauffolgenden vier Jahrzehnten scheiterte nicht nur Carter beim Versuch seiner Wiederwahl, auch Walter Mondale, Michael Dukakis, Bill Clinton, Al Gore, John Kerry, Barack Obama und Hillary Clinton hatten gegen ihre republikanischen Kontrahenten das Nachsehen.

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In ländlichen Gegenden schlagen sich konservative Parteien traditionell besser. Und es gibt kaum einen besseren Nährboden dafür als Texas, den US-Bundesstaat mit der zweitgrößten Fläche nach Alaska. Hier gehört die Konföderierten-Flagge in bestimmten Gebieten noch immer zur Alltagskultur und ist keine Mahnung an Rassismus und Sklavenausbeutung. Nicht nur Blut, auch der Boden hat Texaner reich gemacht. "Drill, baby, drill!", mit diesem Schlachtruf für weitere Ölbohrungen, gingen die Republikaner 2008 in den Präsidentschaftswahlkampf. Heute ist die Wirtschaft diversifizierter.

Basis der Schwächung selbst gelegt

Grund und Boden war es auch, der viele Bürger in den vergangenen Jahren nach Texas gelockt hat. Hier war der Traum vom Haus mit Garten für die Mittelschicht noch erfüllbar. Die Zugezogenen verschoben das politische Gewicht, kamen sie doch häufig aus den demokratischen Bastionen Kalifornien, New York und Illinois sowie dem zwischen beiden Parteien umkämpften Florida. Die oftmals gut Ausgebildeten fanden schnell Jobs - zumindest vor der Corona-Krise. Und die Neu-Texaner freuten sich, dass neben der nationalen Einkommensteuer keine derartige Abgabe im Bundesstaat eingehoben wird. Eine Regelung, die neben Texas in nur sechs weiteren US-Bundesstaten gilt.

Gouverneur und Kongress, beides seit Jahrzehnten ebenfalls fest in republikanischer Hand, haben mit ihrer Politik die Basis für ihre eigene Schwächung gelegt. Die Speckgürtel mit ihrem Einfamilienhäuser-Meer sind zum Kampfgebiet zwischen Republikanern und Demokraten mutiert. Die Metropolen befinden sich bereits in der Hand der Demokraten: Bei der Wahl vor vier Jahren holte Trump in Texas zwar 227 der 254 regionalen Verwaltungseinheiten, den Counties. Aber der Präsident unterlag in den vier größten Städten, Houston, San Antonio, Dallas und Austin.

© M. Hirsch

Texas hat nicht nur die zweitgrößte Fläche aller Bundesstaaten, es liegt mit 29 Millionen auch auf Rang zwei bei der Bevölkerung, getoppt nur von Kalifornien. In den vier größten Städten und im fünftplatzieren Fort Worth - das noch überwiegend republikanisch wählt - sowie im Umland kamen von 2010 bis 2018 drei Millionen neue Einwohner hinzu. Das bedeutet ein Plus von fast 20 Prozent. Die "Washington Post" analysierte, dass in diesen 27 Counties mittlerweile fast 70 Prozent der Wählerstimmen von ganz Texas zu holen sind.

Zum Bevölkerungszuwachs tragen die Latinos maßgebend bei. Vier von zehn Texanern haben lateinamerikanische Wurzeln. Demografen erwarten, dass sie im Jahr 2022 mit den Weißen gleichziehen werden. Und die junge Bevölkerung der Hispanics kommt zusehends ins wahlberechtigte Alter. Bei der Präsidentschaftswahl 2000 war erst jeder fünfte Stimmberechtigte Latino, bis zu den Midterm Elections 2018 stieg der Anteil bereits auf 30 Prozent.

Von Trumps Brachialrhetorik abgeschreckt

Dieser Trend bevorzugt die Demokraten, weil Hispanics - ebenso wie Schwarze und asiatischstämmige Amerikaner - mehrheitlich mit der Partei von Präsidentschaftskandidat Joe Biden sympathisieren. Wenig angetan waren viele Latinos auch von Trumps Mauer-Politik an der Grenze zu Mexiko, inklusive seiner schrillen Töne. Sie stehen in scharfem Gegensatz zu jenen seines Vor-Vorgängers George W. Bush. Der bemühte sich bereits als Gouverneur von Texas um die Stimmen der Hispanics. Sein Bruder Jeb, der in der republikanischen Vorwahl um die Präsidentschaft 2016 gegen Trump unterging, spricht fließend Spanisch.

Auch Beto O’Rourke nutzt gerne seine Spanischkenntnisse. Der Demokrat sprach die von der Brachialrhetorik Trumps besonders Verschreckten in Städten, Suburbia und unter Minderheiten bei der Senatswahl 2018 gezielt an. Zwar musste sich O’Rourke dem republikanischen Amtsinhaber Ted Cruz geschlagen geben. Zwischendurch keimte aber Hoffnung auf eine Sensation auf.

Seitdem scheint den Demokraten die Umkehr der Machtverhältnisse nicht mehr utopisch. Dabei steht Texas gar nicht auf der Liste jener Staaten, die nun bei der Präsidentschaftswahl gewonnen werden müssen. Florida und die Rückeroberung der Industriegebiete im Rust Belt genießen Priorität. Aber Biden habe "den Fuß in der Türe", schreibt O’Rourke in einem Gastbeitrag für die "New York Times".

Noch im Sommer attestierte eine Sprecherin Trumps den Demokraten "Wahnvorstellungen" beim Gedanken, sie könnten in Texas gewinnen. Nun wurde für Biden ein TV-Spot produziert, der ausschließlich auf das dortige Publikum zielt - der erste seiner Art seit einem Vierteljahrhundert. Alleine in den vier Wochen vor der Wahl geben die Demokraten 6,2 Millionen Dollar für Fernsehwerbung im Bundesstaat aus.

Eines ist sicher: Das Rennen in Texas wird knapper werden als vor vier Jahren. Damals lag Trump neun Prozentpunkte vor Hillary Clinton. Das sind Welten, und war dennoch der geringste Vorsprung eines Republikaners seit dem Jahr 1996, als Bob Dole gegen Bill Clinton gewann. Nun weist die Statistik-Webseite FiveThirtyEight aus dem Mittel der vorhandenen Umfragen einen Rückstand von nicht einmal zwei Prozentpunkten für Joe Biden aus.

Erschwerung der Briefwahl wurde gekippt

Die Republikaner steuern gegen, indem sie die Wahlbeteiligung drücken möchten. Diese ist in Texas insbesondere bei Minderheiten niedrig. Gouverneur Greg Abbott erließ daher, dass für die Briefwahl nur eine Annahmestelle pro County zulässig sein soll. So hätte es zum Beispiel in Harris County mit 2,3 Millionen Einwohnern elf Annahmestellen weniger gegeben. Ein Bundesgericht hob das Dekret des Republikaners jedoch auf. Weitere schlechte Nachrichten für die Partei werden wohl in Zukunft folgen.