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Eine Erinnerung an Oberst Imre Reviczky

Von Katalin Reviczky

Politik

Der 1957 verstorbene Oberst Imre Reviczky rettete 1944 als Militärkommandant Siebenbürgens (heute Rumänien) und Kommandant des 50.000 Mann starken Bataillons jüdischer Arbeitsdienstler in | Ostungarn vielen Tausenden das Leben, indem er zum Arbeitsdienst nicht verpflichtete ältere Männer zu seiner Einheit einberief und sie damit vor der Deportation bewahrte. Als die Schreckensherrschaft | der Nazis das Land in panischer Angst hielt, demonstrierte er Menschlichkeit, indem er die mörderischen Befehle verweigerte und einen mutigen Widerstand leistete.


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Vielleicht kennen einige die alte chassidische Legende, nach der die moralische Ordnung der Welt von 36 Gerechten gewährt werden sollte. Diese Auserwählten sorgen dafür, daß die Gesetze der

Menschlichkeit und Gerechtigkeit zum Schluß doch zum Siege kommen. Einer dieser Gerechten und der Besten war Oberst Imre Reviczky.

Wer war dieser Mann, unter welchen Umständen agierte er? Er kam aus einer alten Adelsfamilie, die Staatsmänner, Offiziere, Diplomaten, einen bekannten Dichter und den Hofkanzler Adam Graf Reviczky

hervorgebracht hat.

1944, kurz nach der deutschen Besetzung des Landes, lieferten die ungarischen Behörden Europas größte noch existierende jüdische Gemeinschaft den Nazihenkern aus. Diese beispiellos schnell über die

Bühne gebrachte Aktion war logische Endfolge jenes politischen Systems, das ab seiner Geburt im Jahre 1919 den Antisemitismus auf seine Flagge gesetzt und zwischen 1938 und 1941 sogar die Entrechtung

der Juden zum Gesetz erhoben hatte.

Auch die Institution des Arbeitsdienstes wurde in Ungarn 1939 eingeführt. Es wurden die "politisch Unzuverläßlichen", die Vertreter nationaler Minderheiten und Untaugliche, vor allem aber die Juden

in solche Kompanien einberufen. Diese Menschen sollte man laut Gesetz von 1944 wie die Kriegsgefangenen behandeln und in Ghettos überstellen.

Oberst Reviczky hat diese Verfolgten mit der größten Menschlichkeit behandelt und sich um sie gekümmert · trotz einer Rechtsregierung und deren Verordnungen. In Nagybánya (Baja Mare), heute Rumänien,

wo er als Militärkommandant auch die Zivilordnungsaufsicht innehatte, verhinderte er die Aussiedlung der Levente (Rekrutennachwuchs mit Spezialsportausbildung) sowie die Sprengung von Mittel- und

Großbetrieben durch die Deutschen und leistete so entschlossenen Widerstand.

Oberst Imre Reviczky rettete ungarische Juden, rumänische Arbeitsdienstler, zahlreiche hohe Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und polnische Flüchtlinge. Ruthenen, Slowaken, auch manche

Österreicher standen unter seinem rettenden Kommando. Bei den Rettungsaktionen halfen die engsten Familienangehörigen · seine Gattin und sein Sohn, der ebenfalls Offizier war.

Im Februar 1945 wurde der Oberst im berüchtigten Gefängnis in Sopronköhida interniert und hätte beinahe das Leben verloren.

Doch im April gelang es ihm, sich bei der neu organisierten demokratischen Armee zu melden, welche ihn bestätigt hat. 1950 wurde er jedoch in Pension geschickt, in der er aktiv weitergearbeitet hat

und zum Begründer des Verbandes der Freiheitskämpfer wurde. 1952 entzog man ihm auch die Pension.

Nachdem ihm als "adeligem Sproß" sogar reguläre Arbeit verwehrt worden war, mußte er seine alten Tage mit Kohleschaufeln in einem Kohlenkeller fristen, um seine Familie erhalten zu können. Freilich

hätte er Ungarn 1956 verlassen können, wie es so viele getan haben. Doch er wollte mit seiner Seele und dem Gewissen in Frieden leben und erstrebte nicht die ihm mit Recht gebührende Anerkennung, wie

er auch seine Verdienste nicht an die große Glocke hängte.

Bis heute erschienen in aller Welt an die tausend Zeitungsartikel über Reviczky und die Nachwelt sorgte für seine Rehabilitierung. 1966 wurde ihm das Yad Vashem-Diplom als "Gerechter" zugesprochen,

und der Baum zu seinen Ehren steht in der ersten Reihe dieser Gedenkstätte in Israel. Allein in Israel tragen in den Städten Bet Shemesh, Zfat und Haifa Straßen seinen Namen; in den Holocaust-Zentren

in Los Angeles und Sydney erinnern Gedenktafeln an ihn.

Dem Sohn Adam Reviczky, dem Begründer des wissenschaftlich fundierten Umweltschutzes in Ungarn, wurde 1991 das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

1997 erschien im Böhlau-Verlag Adam Reviczkys Buch "Verlorene Kriege, gewonnene Schlachten · Erinnerungen an Oberst Imre Reviczky · Weltkrieg und Holocaust in Ungarn". Das Werk wurde von der

Universität Jerusalem zur Pflichtlektüre erklärt. Mit der Publikation leistete der Autor übrigens nicht nur ein Beispiel seiner moralischen Verpflichtung, sondern gab auch ein schönes Beispiel für

den Dialog zwischen den Religionen und gegen Rassendiskriminierung. Als militärhistorische Abhandlung und zugleich Geschichte des ungarischen Holocaust ist das Buch auch eine Warnung vor einer

Generalisierung in der Beurteilung der auf Seiten Deutschlands im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Militärkräfte. Darüber hinaus liefert es ein authentisches Bild der politischen Atmosphäre des Horthy-

Regimes und der Welt des Offizierskorps während der Zwischenkriegszeit in Ungarn.

Katalin Reviczky ist Enkelin von Oberst Reviczky und leitet die ARGE zur österreichisch-ungarischen kulturellen Zusammenarbeit in Wien.