Der EU-Konvent wird heute Nachmittag feierlich im Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel eröffnet und hält morgen, Freitag, seine erste Arbeitssitzung ab. Große Erwartungen in das Reformgremium setzen die EU-Parlamentarier. "Europa wird eine komplizierte Angelegenheit bleiben, aber die Entscheidungen müssen transparenter werden." So skizzierte Klaus Hänsch, Mitglied im Präsidium des Konvents, gestern vor österreichischen Journalisten den Anspruch.
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"Man kann die Bedeutung des Konvents im Moment nicht überschätzen", betonte Hänsch (SPE), ehemaliger EU-Parlamentspräsident. Erstmals in der Geschichte der EU sitzen Vertreter der nationalen und des Europäischen Parlaments an einem Tisch, um einen neuen Vertrag auszuarbeiten. Der Konvent sei der erste Schritt von der intergouvernementalen Methode (der Regierungschefs, Anm.) zur Gemeinschaftsmethode bei einer Vertragsänderung. "Eine EU der 15 und mehr ist nun mal nicht so organisierbar wie Luxemburg, wo man überall mit der Straßenbahn hinkommt", unterstrich Hänsch die Notwendigkeit neuer EU-Reformen. Ein neuer EU-Vertrag werde erst 2005 zur Abstimmung vorliegen. Daher müsse der Nizza-Vertrag - obwohl "unzureichend, das ist keine Frage" - ratifiziert werden. Diese letzte Vertragsrevision sei die formale Grundlage für die Erweiterung, so Hänsch. In Irland, das im Juni vergangenen Jahres den Vertrag abgelehnt hat, wird möglicherweise noch in diesem Jahr, ein zweites Referendum über Nizza stattfinden.
Unumstritten vor Arbeitsbeginn des Reformgremiums sind die Vereinfachung der Verträge und die Aufnahme der EU-Grundrechtecharta in den neuen Vertrag. Das Europäische Parlament (EP) erhoffe sich eine "Schließung des Demokratiedefizits" in der Union, sagte Jo Leinen, im EP Berichterstatter über den Konvent und Mitglied des Ausschusses für konstitutionelle Fragen. Die Demokratisierung sei entscheidender als die Kompetenzfrage. Uneinig ist man sich hingegen in der Frage, ob der Konvent am Ende tatsächlich einen Verfassungstext präsentieren soll. Leinen (SPE) legt hier die Latte sehr hoch. Dass "ein akademischer Diskutierklub" lediglich Optionen vorlege, ist ihm zu wenig. Präsidiumsmitglied Hänsch, ebenfalls Mitglied des EU-Ausschusses für konstitutionelle Fragen, sieht das weniger eng: "Alles, was vom Konvent kommt, könnte in eine Verfassung münden." Denn, gibt Hänsch zu bedenken, in manchen skeptischen Mitgliedstaaten wie Schweden und Großbritannien habe alleine das Wort Verfassung "eine sehr unterschiedliche Bedeutung". Der Konvent dürfe keinesfalls zu einem Scheitern getrieben werden. Die Differenzen zwischen Hänsch und Leinen sind wenig verwunderlich. Beide SPD-Politiker stellten sich einer Kampfabstimmung über den Sitz im Konventspräsidium, die Hänsch knapp für sich entschied.
Der Konvent wird öffentlich im Plenum des EU-Parlaments in Brüssel tagen. Diese Öffentlichkeit sei die "wirkliche Innovation", betonte der neue Parlamentspräsident Pat Cox. Bis zur Sommerpause soll es nach Angaben von Klaus Hänsch sieben bis acht Sitzungen (an jeweils eineinhalb Tagen) geben; dem gehen die jeweiligen Vorbereitungssitzungen des 12-köpfigen Präsidiums voraus. Zu dieser Arbeitsweise musste der Vorsitzende, Frankreichs Ex-Staatspräsident Valéry Giscard d´Estaing, erst überredet werden. Er hatte ursprünglich nur eine monatliche Sitzung mit dem Plenum (jeweils halbtägig) vorgeschlagen. Unklar war auch, welcher Vertreter der EU-Institutionen bei der heutigen Eröffnungssitzung zuerst zum Plenum sprechen sollte. Während zunächst EU-Parlamentspräsident Cox als Erstredner geplant war, wird nun der amtierende EU-Ratsvorsitzende, Spaniens Ministerpräsident José María Aznar, als Erster sprechen.
Schließlich sei der Konvent auch vom EU-Rat der Staats- und Regierungschefs eingesetzt worden, hieß es. Die Regierungschefs werden auch beim endgültigen Beschluss der EU-Reformen das letzte Wort haben.