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"Eine Extraportion Coolness"

Von Clemens Neuhold

Politik
Die Evolution des Reinhold Mitterlehner führt ihn an die Spitze einer Partei und in die Mitte eines Reformprozesses.
© Expa/Michael Gruber

Die ÖVP entdeckt nach dem Abgang Spindeleggers ein neues Gefühl: Gelassenheit. Zur Schau gestellt bei dem Auftakt ihres "Evolutionsprozesses".


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Wien. Die Geschichte der ÖVP-Neustarts ist so lange wie die Geschichte ihrer Obmannwechsel. Wobei sich der Neustart bisher meist als Fehlstart erwies. Sonst wäre die Partei nicht im Umfragekeller und hätte nicht schon wieder den Obmann gewechselt.

Der heißt nun Reinhold Mitterlehner, der Neustart heißt "Evolution" - nach "Perspektivengruppe" in den 2000er und "Plattform für offene Politik" in den 90er Jahren. Die neuen Ankündigungen scheinen deckungsgleich mit den alten. Denn auch bei der neuen Evolution geht es wieder darum, durch "Bewegung", die "Menschen zu erreichen" und in eine "bessere Zukunft" zu führen - in eine "Richtung, die nach vorne gehen muss". Im Marketing gibt es die Praxis des Bullshit-Bingos, um solche Floskeln im Vorhinein zu eliminieren.

Der Erneuerer hätte fast Spindelegger geheißen

Doch an diesem evolutionären Tag der Volkspartei geht es gar nicht um die ferne Zukunft, sondern um die Gegenwart. Und die ist durchtränkt von Erleichterung und Gelassenheit. Denn um ein Haar hätte noch Michael Spindelegger den Prozess geleitet. Der Termin für den Start der Erneuerung hin zu einem neuen Parteiprogramm stand schon vor seinem überraschenden Rückzug als Parteiobmann fest. Man stelle sich vor, Spindelegger erklärt mitten im Kreuzfeuer der eigenen Parteikollegen, wie die ÖVP 2025 aussehen wird.

Nun steht stattdessen Mitterlehner im Zentrum der Evolution und ein Mastermind des Prozesses, Harald Mahrer, ist sein Staatssekretär im Wissenschaftsministerium. Mitterlehner genießt das Ende der Unsicherheit und das Rampenlicht sichtlich.

Als der 28-jährige Chef der Südtiroler Volkspartei, Philipp Achammer, vorschlägt, die Amtszeit von politischen Funktionären auf drei Perioden zu begrenzen, geht Mitterlehner nur scherzhaft darauf ein: "In der ÖVP hat der Parteiobmann durchschnittlich 4,3 Jahre. Daher wird die Idee eher die umgekehrte sein: eine Amtszeitgarantie." Lacher. 100 Punkte.

Unfreiwillig gehen, wenn es am schönsten ist?

Auch im Publikum erntet der Vorschlag Achammers keine Standing Ovations von den unhierarchisch im Saal verteilten Parteigranden. Er schildert, welche Erdbeben es in den Gemeinden auslöst, wenn mehr als die Hälfte die Bürgermeister nicht mehr bei der Wahl antreten können. Das skeptische Kopfwiegen des Gemeindebund-Präsidenten Helmut Mödlhammer spricht Bände.

Der Vorschlag hat einen weiteren Pferdefuß: Die Neos haben ihn bereits verwirklicht. Ein Schicksal, das viele evolutionäre Ideen erleiden könnten. Auch der Startschuss hin zu einem neuen Familienbild schaut im pinken Lichte alt aus. "Das Leitbild Vater, Mutter, Kind mit Ehe trifft heute vielleicht noch auf 20 oder 30 Prozent zu, der Rest verfolge andere Lebensentwürfe. Das sehe ich als Aufgabe, dass wir uns da bewegen", sagt Mitterlehner.

Die aus dem Publikum via SMS zugespielte Frage "wann schafft die ÖVP endlich die Bünde ab" lässt Mitterlehner gleich abblitzen. "Es geht nicht darum, jemand abzuschaffen."

Die Generalsekretärin der Schweizer CVP, Beatrice Wertli, entwirft das Bild vom "ÖVP-Hooligan". Sie meint es gut. Doch Mitterlehner fängt den Begriff ein, bevor er zur Headline wird. In Österreich sei der negativ besetzt.

Dorothee Bär von der CSU wirbt für die in Bayern kürzlich eingeführte 40-prozentige Frauenquote in den Parteigremien: "Bei den ganzen Vorsitzenden, die uns jahrelang gesagt haben, sie würden niemanden finden, gab es dann sogar Kampfkandidaturen unter Frauen."

Dann verrät sie, dass sie auch gekommen sei, um Sebastian Kurz kennenzulernen. Der folge ihr noch immer nicht auf Twitter. Eine Minute später tut er es. Harmonie wogt durch den Raum.

Die "Mitte", von der so viele reden, findet Bär "doof". Gute Frage: Wo soll die ÖVP ideologisch stehen? Nirgends. Mahrer hat die Ideologie bereits abgeschafft. "Liberal, bürgerlich, christlich-sozial? Diese Fragen gehören der Vergangenheit an."

Am Ende gibt es ein Gruppenbild. Dazu ertönt die Titelmelodie vom Western "Django", Mitterlehners Name im Cartellverband, mit der Ankündigung: "Und nun eine Extraportion Coolness." Ein ÖVP-Chef mit eigenem Soundtrack: Zumindest das ist neu in der Evolutionsgeschichte.