Als in den 90ern an den Börsen Goldgräberstimmung herrschte, übersiedelte ein 22-jähriger Salzburger nach New York. Er sollte in der Finanzwelt reüssieren - bis 1999 sein Fonds zusammenbrach. In Wien steht er nun vor Gericht.
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Wien. September, 1993. Der junger Bankmitarbeiter Michael B., erst 22 Jahre alt, reicht bei seinem Arbeitgeber, der Sparkasse Salzburg, seine Kündigung ein. Er hat ein besseres Angebot vorliegen, ein weit besseres: Er geht nach New York.
Schon im Alter von 15 Jahren hatte Michael B. an der Börse spekuliert, mit kleinen Beträgen natürlich, von der Welt der Aktien war er fasziniert. Es war die Zeit, in der die Wall Street zum Epizentrum des American Dream wurde und eine Filmfigur namens Gordon Gekko zu einer Art Popstar und Vorbild. Auch für den damaligen Schüler Michael B.
6. Juli, 2007. Eine Polizeistreife aus Seewalchen hält auf der Westautobahn ein Auto auf. Der Fahrer kann sich nicht ausweisen und wird verhaftet. Es ist Michael B. Fünf Jahre war er in Österreich untergetaucht, er wurde in den USA vom FBI gesucht, stand auf der "Most-Wanted"-list. Zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten besteht kein Auslieferungsabkommen. Dem ehemaligen Investmentbanker wird vorgeworfen, 259 Investoren getäuscht und einen Schaden von 465 Millionen US-Dollar verursacht zu haben. Sein vorgeblich erfolgreicher Hedge-Fonds "Manhattan Capital Fund" soll ein Pyramidensystem gewesen sein.
17. Mai, 2017. Am Straflandesgericht Wien erlebt eines der längsten Verfahren Österreichs seinen Auftakt zur Hauptverhandlung. Bereits im Jahr 2000 hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Unter anderem aufgrund der Dauer hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Republik wegen Verletzung von Artikel 6 (Recht auf faires Verfahren) verurteilt. Michael B. bekennt sich in allen Anklagepunkten für nicht schuldig. Ein Geständnis im Zuge eines Verfahrens in den USA hatte er wenig später widerrufen. Sein Anwalt Jürgen Stephan Mertens erklärte am Mittwoch, dass sein Mandant nur unter dem Druck einer drohenden 100-jährigen Haftstrafe gestanden habe.
Skeptische Analysen
Staatsanwältin Eva-Maria Stangl wirft B. vor, Depotauszüge gefälscht und damit Wirtschaftsprüfer, den Fonds-Administrator und in weiterer Folge auch die Investoren getäuscht zu haben. B., für den die Unschuldsvermutung gilt, stellte dies in Abrede. Die Prüfer hätten einen direkten Zugang zur Bank Bear Stearns gehabt, bei dem die Wertpapiere des Fonds gehandelt wurden, und sie hätten deshalb zu jeder Zeit Einsicht in die Zahlen gehabt. B., sagt sein Verteidiger, hätte deshalb gar niemanden täuschen können.
Taucht man ein bisschen tiefer in die Geschichte ein, abseits der Frage, wer, was, wann wusste - diese Frage ist natürlich für den Prozess von Bedeutung - entfaltet sich eine Dokumentation des Irrsinns der Finanzbranche, vor allem vor dem Jahr 2000. B., obwohl damals erst in seinen Zwanzigern, war für einige Jahre ein kleiner Star in der Finanzwelt - in zwei Jahren von der Salzburger Sparkasse an die Wall Street in New York mit Büro an der Park Avenue.
Es war der Beginn eines neuen technologischen Zeitalters. Die Aktien von Internet-Firmen schossen nach oben, es herrschte Goldrauschstimmung. B. war jedoch skeptisch. Er hatte sich früh auf einer damals neuen Analyse-Software einschulen lassen. Ist sie der Schlüssel zum ewigen Wunsch der Börsianer, klüger als der Markt zu sein? Zumindest glaubten das zu jener Zeit einige, unter anderem deshalb erhielt B. ein Angebot aus New York.
Seine Thesen, die von einer Überbewertung der Top-Unternehmen kündeten, stießen auf Interesse. Er sollte auch vor einer bevorstehenden Finanzkrise warnen, vor überhitzten Märkten. Er schrieb Börsenbriefe, gab Einschätzungen ab, im Jahr 1995 gründete er seinen Fonds. Auch zwei Direktoren der Bank Austria, die B. in New York kennengelernt hatte, waren mit an Bord.
Bank Austria investierte
Registriert wurde der "Manhattan Capital Fund" auf den British Virgin Islands. Derartige Finanzprodukte seien meist Offshore, um Regulierungen zu umgehen, sagte B. vor Gericht. Österreichischen Banken waren direkte Beteiligungen an dem Fonds untersagt - aber auch sie umgingen. Die Bawag, die Raiffeisen NÖ-Wien, die Erste, vor allem aber Bank Austria mit insgesamt 27 Millionen Euro investierten über ausländische Finanzierungsvehikel in den Fonds des Senkrechtstarters. Aber auch die Credit Suisse, japanische Banken, und so weiter. Goldrausch eben.
B. war damals Mitte 20, er hatte den American Dream zu seinem eigenen gemacht, lebte so, wie es Investmentbanker zugeschrieben wird, in einem Aquarium seines Wohnzimmers hielt er einen Hai. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft soll B. gemäß seiner kritischen Analysen eine Anlagestrategie verfolgt haben, die auf fallende Kurse setzte. Doch das Gegenteil sei dann passiert. Und dennoch machte der Fonds Gewinne - offiziell. Mit dem Geld neuer Investoren soll B. alte bedient haben, weshalb das System bis Ende 1999 funktionierte. Dann kollabierte es. Am Ende soll das Aktienvermögen des Fonds nur noch drei Millionen Dollar betragen haben.
B. bestreitet dies. Vielmehr habe es tatsächlich Gewinne gegeben und das Vermögen habe bei 500 Millionen US-Dollar gelegen sein. Nachträglich sei etwas manipuliert worden, verteidigte er sich. Die Fonds-Wirtschaftsprüfer von Deloitte Touche, die im Nachhinein ihre Prüfberichte zurückgezogen hatten, waren anfangs auch in Klagsverfahren in den USA involviert, konnten sich aber außergerichtlich einigen -für 32 Millionen US-Dollar.
Im März 2000, drei Monate nachdem der Fonds von B. zusammenbrach, platzte an der Wall Street die Dotcom-Blase. Aktienwerte rasselten zu Boden, binnen Tagen wurden Milliarden vernichtet. Es war das passiert, was B. in seinen skeptischen Analysen beschrieben hatte. "Wenn man so will", sagte die Staatsanwältin am Mittwoch, "war er mit seiner Strategie seiner Zeit voraus." 17 Jahre später steht der ehemalige Investmentbanker B. nun in Wien vor Gericht. Es wird wohl ein langer Prozess werden.