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Eine Frage der Herkunft

Von Ines Scholz

Europaarchiv

Netanyahu lehnt Gaucks Bitte um Baustopp für Siedlungen brüst ab.


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Bern/Ramallah/Jerusalem. Die israelische Botschaft in Bern reagierte erzürnt. Migros beteilige sich an einer Kampagne, die darauf abziele, voreingenommene politische Kriterien festzusetzen und Israel und dessen Produkte zu diskriminieren. Dies werde auf das Schärfste abgelehnt, stand in der Pressemitteilung. Stein des Anstoßes ist eine neue Richtlinie des Schweizer Großkonzerns, wonach ab Mitte 2013 Produkte aus den völkerrechtswidrig errichteten israelischen Siedlungen in besetzten Palästinensergebieten in dessen Supermärkten eigens gekennzeichnet werden. Derzeit steht als Herkunftsbezeichnung nur "Made in Israel".

"Wir sorgen damit für Transparenz, damit der Kunde selber entscheiden kann, ob er das Produkt kaufen will oder nicht", erläutert eine Sprecherin die Initiative. Die Produkte, insbesondere Datteln, Kartoffeln, Früchte und Küchenkräuter, ganz aus dem Sortiment zu nehmen, ist für den Großverteiler jedoch kein Thema. Migros zieht damit seinem Konkurrenten nach: Coop, die zweitgrößte Einzelhandelsgruppe nach Migros, ist laut eigenen Angaben schon weiter. Kräuter aus dem Westjordanland würden als solche bezeichnet, ebenso Trinkwassergeräte der Marke Soda-Club, die ausschließlich im Westjordanland hergestellt würden, so ein Coop-Sprecher. Die Migros-Supermärkte machten im Vorjahr einen Umsatz von 14,6 Milliarden Franken (12 Milliarden Euro). Zum Migro-Konzern gehören zudem die Möbelkette Interio sowie Globus.

Auch in der Europäischen Union wurden immer wieder Stimmen laut, die ungeachtet der israelischen Proteste Supermärkte zur Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen in besetzten palästinensischen Gebieten aufgefordert haben - zuletzt die britische Regierung Ende 2009.

1995 hatte die EU mit Israel reduzierte Zölle für Einfuhren vereinbart, davon aber ausdrücklich Erzeugnisse aus israelischen Siedlungen im Westjordanland, im Gazastreifen, in Ostjerusalem und auf den syrischen Golanhöhen ausgenommen. In der Praxis hatte das aber bisher kaum Folgen, da Israel auch Exporte von dort als "Made in Israel" ausgibt. Dabei bekundete Israel schon 2003 die Absicht, das Freihandelsabkommen mit der EU nicht länger zu unterlaufen und die Produkte vorschriftsgemäß zu kennzeichnen, nachdem die EU mit der Suspendierung des Abkommens gedroht hatte.

Die EU tat bisher jedoch reichlich wenig, um die Einhaltung der Vereinbarung durchzusetzen. Daran änderte sich auch nichts, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Februar 2010 das Verbot der fast zollfreien Einfuhr israelischer Waren aus dem besetzten Westjordanland ausdrücklich bekräftigt hat. Das Okkupationsgebiet sei nicht Teil des Staates Israel, hieß es in der Urteilsbegründung. Geklagt hatte ein israelischer Produzent, der Soda-Club-Geräte, die in der israelischen Siedlung Maale Adumim hergestellt worden waren, zollfrei nach Deutschland einführen wollte. Dazu legte er israelische Papiere vor, die besagten, die Waren stammten aus einer Zone unter israelischer Zollzuständigkeit. Nähere Auskünfte über den Produktionsstandort fehlten. Der deutsche Zoll erkannte die Bescheinigungen deshalb nicht an.

Die jüdischen Siedlungen sind aber nicht nur ein - theoretisches - Hindernis für israelische Importe in die EU, sondern auch und vor allem für den Friedensprozess mit den Palästinensern. Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck sprach sie bei seinem Israel-Besuch deshalb behutsam an, seine Bitte "im Namen Deutschlands und der EU" um ein "Zeichen in der Siedlungspolitik" wurde von Regierungschef Benjamin Netanyahu aber brüsk zurückgewiesen. Israel will am Ausbau festhalten.

Plädoyer für eine

Zwei-Staaten-Lösung

Dabei hatte Gauck bei seiner Bitte um Kompromissbereitschaft vor allem Israels Interesse in den Blickpunkt gestellt: "Wir treten dafür ein, dass Israel in Frieden und in gesicherten Grenzen leben kann." Dafür seien die Zwei-Staaten-Lösung und die Berücksichtigung der "berechtigten Anliegen des palästinensischen Volkes" entscheidend, so Gauck. Doch dazu bedarf es der Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen. Diese wird es laut palästinensischer Seite aber solange nicht geben, solange Israel für immer mehr jüdische Siedler in den besetzten Gebieten Wohnraum und Infrastruktur schafft und die palästinensische Bevölkerung immer weiter zurückgedrängt wird. Dies bekräftigte am Donnerstag Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas bei Gaucks Blitzvisite in Ramallah. Dennoch war der gestrige Besuch im seit 1967 besetzten Westjordanland nicht ganz umsonst: Das deutsche Staatsoberhaupt eröffnete bei Nablus eine mit deutschen Geldern errichtete Mädchenschule. Damit wolle man das "nachhaltige Engagement" Deutschlands für den Aufbau eines Palästinenserstaates betonen, betonte Gauck, der anschließend mit palästinensischen Produkten verköstigt wurde, zum Abschluss seiner Nahost-Reise.

Was die künftige Grenzziehung zwischen Israel und Palästina angeht, formieren sich in Israel erstmals Stimmen, die sich vom Diktat einer bilateralen Lösung verabschieden wollen. Verteidigungsminister Ehud Barak schlug laut "New York Times" vor, die Regierung solle endlich Fakten schaffen und die Grenze einseitig festlegen. Da dabei ein Großteil der Westbank Israel zugeschlagen werden soll, stieß der Vorstoß bei den Palästinensern umgehend auf Ablehnung.