Das britische Vorgehen verträgt sich nur bedingt mit dem europäischen Wertekanon.
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London/Wien. Bereits vor Wochen hatte Glenn Greenwald davor gewarnt, dass die Enthüllungen von Edward Snowden zum Albtraum für die Gegner des NSA-Aufdeckers werden könnten. Im Sinn hat der "Guardian"-Journalist, der gewissermaßen als publizistisches Sprachrohr Snowdens fungiert, zwar vor allem die USA gehabt, doch mittlerweile dürfte dies zunehmend auch auf Großbritannien zutreffen.
Dass zwei Geheimdienstleute einfach in die Redaktion einer der renommiertesten Tageszeitungen des Landes marschieren und dort Festplatten mit möglicherweise brisantem Material zerstören, wirft ein ebenso ungutes Licht auf die älteste Demokratie der Welt wie der Fall David Miranda. Der brasilianische Lebensgefährte von Greenwald war am Sonntag unter Anwendung des Schedule-7-Paragrafen des Anti-Terrorgesetzes knapp neun Stunden lang am Flughafen festgehalten worden.
Unbeantwortet scheint in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, wo die Grenze für die Arbeit der zunehmend nervöser werdenden Geheimdienste verläuft. "Die Wahrheit ist, dass es in Großbritannien üblich geworden ist, die Terrorgesetzgebung als eine Art Allzweckwaffe einzusetzen", sagt der ehemalige Tory-Schatten-Innenminister David Davis. Die im Jahr 2000 erlassene Regelung sei mit Sicherheit nicht dafür geschaffen worden, um das Privatleben von Reisenden am Flughafen von Heathrow zu durchwühlen. Dass der Paragraf im Fall von Miranda bis zum Exzess ausgereizt wurde, zeigen jedenfalls die Daten von David Anderson, dem vom Parlament eingesetzten unabhängigen Beobachter der Anti-Terror-Gesetze. Zwischen April 2007 und März 2012 wurden nur 1,2 Prozent der unter dem Schedule 7 angehaltenen Personen länger als drei Stunden verhört. Zudem sieht der Paragraf vor, dass Terrorverdächtige nur zu Terrorvorwürfen befragt werden. Miranda will Großbritannien nun deswegen klagen.
Falls die britischen Geheimdienste - so wie es die Regierung beteuert - ihre Befugnisse nicht überschritten haben, wird Großbritannien aber noch eine viel grundsätzlichere Frage klären müssen. Denn wenn auch das Vorgehen der Sicherheitsbehörden ausschließlich eine Angelegenheit der einzelnen Staaten ist, passen sowohl der Fall Miranda wie auch die Zerstörung der "Guardian"-Festplatten nur beschränkt zu jenem europäischen Wertekanon, den sich die Europäische Union mit dem Amsterdamer Vertrag gegeben hat und in dem Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Grundrechte eine entscheidende Rolle spielen. "In Österreich wären Vorfälle wie beim ,Guardian‘ etwa gar nicht möglich", sagt der Linzer Europarechtler Franz Leidenmühler. "Laut dem heimischen Sicherheitspolizeigesetz kann man bestenfalls etwas beschlagnahmen". Für den Fall, dass die Betroffenen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, rechnet Leidenmühler dementsprechend auch mit einem Urteil gegen die britischen Behörden. "Meiner Meinung nach war das auch schon nach britischem Recht nicht rechtmäßig."