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Eine Frage des Blickwinkels

Von Simon Rosner

Politik

Das österreichische Steuersystem hemmt die Konjunktur. Das müsste nicht so sein.


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Wien. Österreich hat es wieder bei einem jener Rankings ins Spitzenfeld geschafft, bei denen das nicht unbedingt als Auszeichnung zu verstehen ist. Diesmal ist es die von der OECD publizierte Aufstellung der Abgaben und Steuern auf Arbeit, sie weist Österreich auf Platz sechs der OECD-Länder aus. Für einen alleinstehenden Durchschnittsverdiener lag diese Abgabenquote im Jahr 2016 bei 47,1 Prozent. Die generelle Steuerquote, also der Anteil von Steuern und Sozialbeiträgen gemessen an der Wirtschaftsleistung, liegt bei 44,4 Prozent. Österreich verpasst hier nur knapp das Stockerl.

Das ist natürlich weder Neuigkeit noch Überraschung. Die hohe Steuerbelastung ist logische Konsequenz des breiten gesellschaftlichen Konsenses über Rolle und Aufgabe des Staates. In den vergangenen Jahren wird jedoch der erneute Anstieg der Steuerquote nach einem Rückgang unter Schwarz-Blau zunehmend kritisch hinterfragt.

Tonlage und Lautstärke der politischen Forderungen mögen unterschiedlich sein, der Tenor ist jedoch bei allen Parteien derselbe: Die Steuerquote ist sehr hoch und sollte gesenkt werden. Die Umsetzung zwänge die Politik natürlich, weniger Geld auszugeben, was ein grundsätzliches Hindernis darstellt. Dennoch sind gelegentlich Ideen dafür zu hören, auch aus den Regierungsparteien - es sind halt nicht die gleichen.

Womit auch schon umrissen ist, weshalb eine nachhaltige Absenkung der Steuer- und Abgabenquote so bald nicht passieren wird. Die Regierung hat allerdings die Abschaffung der kalten Progression vereinbart. Die Tarifstufen sollen demnach mit der jährlichen Inflation mitwachsen, was die steuerlichen Mehreinnahmen reduzieren würde.

An der Steuerquote würde die Abschaffung aber langfristig nichts ändern, auch wenn die kalte Progression eben gerne als "versteckte Steuererhöhung" bezeichnet wird. In der Tat erwachsen dem Staat Mehreinnahmen, weil Steuerzahler ohne reale Einkommenszugewinne in höhere Steuerklassen rutschen und mehr Abgaben leisten müssen. Bisher hat die Regierung alle paar Jahre diese Mehreinnahmen in Form von "Steuerreformen" quasi refundiert - zuletzt im Vorjahr.

Kommt es nun zu einer automatischen Indexierung der Tarifstufen, bedeutet das, dass es in Zukunft auch weniger Steuerreformen geben wird. Die Politik gibt damit allerdings auch ein Steuerungsinstrument aus der Hand. "Natürlich verringert sich dann der budgetäre Spielraum", sagt Margit Schratzenstaller, die stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo).

Auch ein zweiter Aspekt ist zu beachten. Die mit Getöse (und Inseraten) angekündigte Steuerreform der Regierung Faymann hatte auch einen psychologischen Effekt. "Den gibt es immer", sagt Schratzenstaller. Der Konsum im Inland nahm nicht nur deshalb zu, weil die Menschen mehr ausgeben konnten, sondern weil sie auch mehr Geld ausgeben wollten. Dieser Effekt lasse sich aber schwer quantifizieren, ergänzt die Wifo-Ökonomin.

Doch selbst wenn man die Steuerquote gar nicht reduziert, gäbe es die Möglichkeit, Reformen in der Steuer- und Abgabenstruktur vorzunehmen. Und es wäre wohl auch wichtig, wie Experten immer wieder einmahnen. Allerdings gelangt man bei einer Diskussion darüber fast unweigerlich zu einem koalitionären Streitthema, das in beiden Regierungsparteien fundamentalistische Argumentationsreflexe auslöst: Vermögenssteuern.

Werner Faymann hatte sie im Wahlkampf 2013 gefordert, um diesen Vorschlag bei den Koalitionsverhandlungen gleich wieder zu begraben. Die Kritik war groß, wenngleich man Faymann wohl nur Realismus unterstellen konnte. Nachfolger Christian Kern versucht erst gar nicht, die ÖVP mit diesem Begriff herauszufordern.

Kerns Modell derPflegefinanzierung

Auch in seinem programmatischen Konzept "Plan A" findet sich keine allgemeine Forderung nach "Vermögenssteuern", wohl aber nach einer ganz konkreten: der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Diese ist eine der ältesten Steuern überhaupt, sie wurde bereits in der Antike eingehoben. In Österreich verschwand sie aber nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs 2007. Seither ist sie nur gelegentlicher Gast in politischen Debatten.

Kern will durch eine Wiedereinführung die Pflege finanzieren und gleichzeitig den Eigenregress abschaffen. Dieser sei, so Kern, eine "100-Prozent Erbschaftssteuer". Kosten, die nicht durch das Pflegegeld und die Pension abgedeckt werden, können heute von den Pflegeeinrichtungen als Forderung in die Verlassenschaft eingebracht werden. Das schmälert das Erbe oder frisst es gänzlich auf. Doch auch in neuen Kleidern gefiel der ÖVP diese Steuer nicht, die Absage erfolgte prompt.

Was der Kanzler versuchte, war, eine verfahrene Debatte bei einem sehr ideologisierten Thema durch einen neuen Blickwinkel neu zu beleben. Denn bisher war die Erbschaftssteuer - und waren generell Vermögenssteuern - fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit abgehandelt worden. Es ist ein wichtiger Aspekt, aber eben nicht der einzige.

Kern will diese Steuer nun zum Finanzierungsmodell für die Pflege machen. Expertin Schratzenstaller hält zwar nicht viel von solchen Einzelmaßnahmen, ein Steuersystem aus mehreren Perspektiven zu betrachten, sei aber wichtig. "Auch die EU-Kommission schaut sich die Abgabensysteme unter mehreren Aspekten an."

Wie wachstumsschädlich sind sie? Wie beschäftigungsfreundlich? Wie ökologisch? Gerade in Zeiten von Stagnation und Bedrohungen durch den Klimawandel werden diese Fragen virulenter. Vor rund drei Jahren hat die EU-Kommission Österreich unter anderem auch deshalb empfohlen, den Faktor Arbeit steuerlich zu entlasten und Vermögen stärker zu belasten.

Grundsteuer hemmtWachstum nur wenig

Das industrienahe Institut EcoAustria hat in einer Studie (2012) auf eine Reihung von Steuern unter diesem Aspekt ihrer Wachstumsfeindlichkeit hingewiesen. Der Körperschaftssteuer wurde demnach der größte negative Wachstumseffekt bescheinigt - vor der Einkommensteuer. Steuern auf den Konsum und Vermögenssteuern seien dagegen weniger wachstumsschädlich, hieß es.

Laut EcoAustria trifft das vor allem auf Steuern auf Grund und Boden zu, die in Österreich traditionell eine eher untergeordnete Rolle spielen. Bei der Erbschaftssteuer, sagt Ludwig Strohner von EcoAustria, sei wiederum das Vererben von Unternehmen ein schwer lösbares Problem.

Ein weiterer Aspekt ist die Ökologisierung des Steuersystems. Für diesen Sommer hat sich die Regierung vorgenommen, ihre Energie- und Klimastrategie zu präsentieren. Österreich muss seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen umsetzen. Um eine steuerliche Begleitung wird man wohl nicht herumkommen, um nachhaltige Lenkungseffekte erzielen zu können. Luft nach oben ist hier jedenfalls, Österreich liegt beim Anteil den Umweltsteuern recht klar unter dem EU-Durchschnitt.

Bei Lenkungssteuern, die dafür sorgen sollen, ein gewünschtes Verhalten zu fördern, gibt es aber auch diverse Probleme. Wenn die Steuer funktioniert, "erodiert sie ihre eigene Finanzierungsgrundlage", sagt Schratzenstaller. Zumindest in der Theorie. Die Anhebung der Tabaksteuer hat dazu beigetragen, dass weniger Menschen rauchen, die Zahl der Raucher ist aber nicht bei null.

Zweitens, je höher die Steuer ist, steigt die Gefahr, dass sie unterlaufen wird, im Fall von Tabaksteuern zum Beispiel durch Schmuggel. Drittens stellt sich auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit bei solcher Steuern. Wird zum Beispiel Benzin teurer, betrifft das - wie jede Konsumsteuer - relativ gesehen jene stärker, die wenig Einkommen haben. Sie müssen also höhere Anteile ihrer Löhne und Abgaben dafür aufwenden.

"Das Argument ist schlagend, wenn man eine solche Steuer isoliert betrachtet", sagt Schratzenstaller. Würde man gleichzeitig untere und mittlere Einkommen entlasten, sähe die Verteilungswirkung in der Gesamtbetrachtung anders aus. Und darauf weist die Steuerpolitik-Expertin auch hin: Einzelne Maßnahmen bringen wenig, es braucht einen gesamtheitlichen Ansatz sowie begleitende Maßnahmen. Um beim Beispiel der Mineralölsteuer zu bleiben: Wenn es in einer Region keine Alternative zum Auto gibt, wird es dort auch nach einer Steuererhöhung nicht weniger Verkehr geben.