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Eine Frage des Willens

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die ukrainische Offensive steht bevor - kann sie Frieden bringen?


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Der Sieg im Krieg ist nicht nur eine Frage der Stärke, sondern auch des Willens. Bald könnte die ukrainische Armee ihre Frühlingsoffensive beginnen und dem Land stehen weitere blutige Monate des Verlusts der Trauer, und der Angst bevor.

Militärexperten vermuten, dass die Hauptstoßrichtung dieser Offensive im Süden liegen könnte, sie prognostizieren, dass die Ukraine versuchen wird, die Krim von Hinterland abzuschneiden.

Die immer intensiver werdenden ukrainischen Angriffe auf einen russischen Militärstützpunkt in Melitopol sind ein möglicher Hinweis dafür, dass die Ukraine den Schwerpunkt ihrer Offensive dort setzen wird. Für Russland bliebe dann die einzige Verbindung die Brücke von Kertsch - und eben dort hat die Ukraine bewiesen, dass sie in der Lage ist, diese Brücke auszuschalten.

Doch groß angelegte Offensivoperationen sind verlustreich und voller Risiko. Es gibt eine militärische Faustregel, die besagt, dass der Angreifer eine Übermacht von mindestens 1:3 benötigt, um Chancen auf Erfolg zu haben. Die Verteidiger sitzen meist in gut befestigten Stellungen und Bunkern und haben meist das Gelände mit Minenfeldern und Befestigungsanlagen vorbereitet.

Krieg ist - so viel ist klar, wenn man sich mit dieser destruktivsten aller menschlichen Aktivitäten beschäftigt - die völlige Bankrotterklärung menschlicher Vernunft und menschlicher Ethik. Dennoch wird der Krieg in der Ukraine fortgesetzt. Denn Wladimir Putin ist nicht bereit, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen. Man wird also abwarten müssen, ob die mehr und mehr mit westlichen Waffen ausgerüstete ukrainische Armee im Zuge der zu erwartenden Kämpfe in der Lage sein wird, die russischen Truppen zurückzuwerfen. Die Krim wird dabei eine zentrale Rolle spielen.

Auf strategischer Ebene ist Putins Position heute mit jener vor dem 24. Februar 2022 nicht vergleichbar: Die Nordflanke der Nato ist mit dem Beitritt Finnlands (und dem zu erwartenden Beitritt Schwedens) entscheidend gestärkt und Putin muss auch fürchten, dass er, wenn er Belarus immer weiter in die russische Sphäre inhaliert, dort stärkerem Widerstand erfahren wird. Die russische Armee ist zudem völlig überdehnt und den Eliten muss wohl langsam dämmern, in welches Debakel Putin ihr Land gestürzt hat. Die Armee der Ukraine ist mittlerweile eng mit der Nato verflochten und implementiert peu à peu Nato-Standards, die Interoperabilität zwischen der ukrainischen Armee und Nato-Einheiten wächst mit jedem Tag.

Eines Tages werden die Waffen schweigen und man wird über Frieden verhandeln. Doch bis dorthin wird jede Seite versuchen, genau dafür am Schlachtfeld eine möglichst vorteilhafte Position zu erringen.