Zum Hauptinhalt springen

Eine Frage des Zugangs

Von Christian Rösner

Politik

Dritte Piste: Eine Vertreterin der Bürgerinitiativen und ein Vertreter der Wirtschaftskammer im Streitgespräch.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. "Durch den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat und den damit erhöhten Flugverkehr würden die Treibhausgasemissionen Österreichs deutlich ansteigen."

Mit diesen Worten - und der damit verbundenen Ablehnung zur Errichtung der dritten Piste ließ vor Kurzem das Bundesverwaltungsgericht aufhorchen. Umweltschützer frohlockten, Politik und Wirtschaft zeigten sich bestürzt über das Erkenntnis. Immerhin ging diesem eine Projektdauer von 17 Jahren voran (davon allein 11 Jahre UVP-Verfahren), mit 32 Fachgutachten, unzähligen Mediationsgespräche mit hunderten Stakeholdern und Verfahrenskosten von mehr als 100 Millionen Euro.

Nun bekämpfen der Flughafen Wien als betroffenes Unternehmen und das Land Niederösterreich als UVP-Behörde das vorläufige Bauverbot vor den Höchstgerichten. Beide haben knapp, bevor die Frist am Donnerstag endete, gegen die Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 2. Februar eine außerordentliche Revision eingebracht. Der Einspruch des Flughafens erfolgte wegen "inhaltlicher Rechtswidrigkeit" sowie schwerwiegender Verfahrensmängel, erläuterte der Vorstand am Donnerstag. Auch die Entscheidungsgründe seien widersprüchlich. Verfassungsbeschwerde wurde ebenfalls eingelegt, wegen der Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte.

Was die vorläufige Entscheidung für die Bundeshauptstadt bzw. für Österreich bedeutet, darüber diskutierten Jutta Leth, Obfrau des Dachverbandes der unabhängigen Bürgerinitiativen gegen den Bau der dritten Piste und Psychiaterin, sowie Alexander Biach Direktor-Stellvertreter Wiener Wirtschaftskammer in einem von der "Wiener Zeitung" moderierten Streitgespräch im Café Eiles.

"Wiener Zeitung": Kritiker meinen, dass nun aufgrund des Bescheids des Bundesverwaltungsgerichts gegen die Errichtung der dritten Piste nicht weniger Menschen auf der Welt mit dem Flugzeug fliegen werden und damit kein Beitrag zur CO2-Reduktion geleistet werden kann. Vielmehr sehen sie den Wirtschaftsstandort akut gefährdet. Wie interpretieren Sie die Entscheidung des BVwG?Jutta Leth: Zum ersten Mal hat ein Gericht einen integrativen Blick auf ein Großprojekt geworfen und Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen. Das hätte ich mir vorher von der Politik gewünscht. Herausgekommen ist jedenfalls, dass die Klimaaspekte den wirtschaftlichen Gewinnen, die durch das Projekt erhofft werden, vorzuziehen sind. Das ist ein wegweisendes Urteil, das uns möglicherweise auch davor bewahren kann, weitere wirtschaftliche Fehlentwicklungen zu vermeiden - denn dass das fossile Zeitalter dem Ende zugeht, weiß mittlerweile jedes Volksschulkind. Und wir haben nur 30 bis 50 Jahre Zeit, um eine Trendwende einzuleiten. Andernfalls droht uns zur Jahrhundertwende eine Klimakatastrophe - und das wird nicht nur einschneidende wirtschaftliche Folgen haben.

Die gegenwärtige Wirtschaft ist Ihnen egal?Leth: Nein, die Kritik lautet, dass die Befürworter der dritten Piste einen kurzen wirtschaftlichen Erfolg einer nachhaltigen Lösung vorziehen.

Sieht die Wiener Wirtschaftskammer das auch so?Alexander Biach: Ich sehe in der dritten Piste keine Kurzsichtigkeit. Würde man dem ganzen eine breitere Aufmerksamkeit schenken, könnte man sehr wohl sehen, dass gerade Maßnahmen im infrastrukturellen und technologischen Bereich bzw. im gesamten wirtschaftlichen Entwicklungsbereich nötig sind, um mehrere Ziele zu erreichen: Unter anderem ein Umweltsicherungsziel, ein Wirtschaftswachstumsziel - verbunden durch Lebensqualität. Das sollte eine Basis sein, die uns eigentlich gar nicht so stark voneinander unterscheidet.

Frau Leth spricht vom Verzicht der dritten Piste und den damit verbundenen CO2-Einsparungen. Wie wollen Sie die Umwelt schützen?Biach: Mit einer neuen, modernen Infrastruktur - verbunden mit Auflagen. Die erfüllt nicht nur das Wirtschaftswachstumsziel, sondern auch die angestrengte CO2-
Reduktion.

Das BVwG sieht das aber anders . . .Biach: Und es richtet damit einen dreifachen Schaden an: Das Wirtschaftswachstum, das für die Erhaltung des derzeitigen Lebensstandard sorgt, wird durch das Erkenntnis gefährdet. Bleibt alles, wie es ist, wird die Kapazitätsgrenze des Flughafens erreicht und noch zusätzlich der umweltbelastende Ausweichverkehr erzwungen. Und drittens werden sämtliche bestehende Infrastrukturprojekte infrage gestellt.

Leth: Die Kapazitätsgrenze ist nicht erreicht: Wir haben heute um rund 40.000 Flüge weniger als noch im Jahr 2008. Und was die bestehenden Infrastrukturprojekte betrifft: Vielleicht wäre das Flughafenmanagement gut beraten gewesen, sich zeitgerecht zu überlegen, in welche Richtung sich die Welt entwickelt und mit welchen Problemstellungen wir konfrontiert sein werden.

Biach: Der Adressat dieser Erkenntnis war der falsche. Nicht der Infrastrukturbetreiber, sondern das Luftfahrtunternehmen hätte es sein müssen bzw. Bund oder Land. Die Emissionen macht nämlich nicht der Flughafen, sondern die Flugzeuge - und die werden 2025, wenn die Kapazitätsgrenze erreicht sein wird, kreisen und zusätzliches CO2 ausstoßen, weil es keine dritte Piste gibt. Die Auflagen zur CO2-Reduktion können nur erfüllt werden, wenn Bund und Länder in die Pflicht genommen werden und versucht wird, mit Zertifikaten die Luftfahrt-Emissionen einzudämmen. Und deswegen glaube ich, dass eine Revision zustande kommen wird.

Leth: Das ist Haarspalterei.

Das würde heißen, dass das UVP-Verfahren von vorneherein falsch angegangen wurde - denn das Verfahren hat auf den Bau der Piste abgezielt, war aber nie in Betrieb. War das 17 Jahre lang eine Themenverfehlung?Leth: Es war von Anfang an ein Täuschungsmanöver. Ich habe tonnenweise UVP-Unterlagen gelesen und mich immer gewundert, wie das geht, dass 460.000 Flugbewegungen prognostiziert werden und in allen Berichten steht, dass das nicht die Umwelt belastet. Das war in Wirklichkeit ein bewusst herbeigeführter Leger: Man macht eine UVP zum Bau eines Betonbandes - aber man will nichts damit zu tun haben, dass das Betonband ausschließlich auf die Expansion der Luftfahrt abzielt. Der Flughafen spart mit betrieblichen Maßnahmen am Boden zwar 30 Tonnen CO2 ein, aber erzeugt werden 1,75 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr - dafür soll plötzlich wer anderer die Verantwortung übernehmen?

Biach: Noch einmal: Es ging um die Genehmigung der Piste. Aber die Frage der Emissionen muss man national bzw. auch international behandeln. Und dazu gibt es gesetzliche und staatliche Abkommen bzw. auch klare Übereinkommen, dass eine Halbierung der Emissionen des Luftverkehrs bis zum Jahr 2050 erreicht werden muss. Und das konnte bereits durch die technologische Fortentwicklung eingeleitet werden. Wenn sie das jetzt blockieren, dann werden die Flugzeuge kreisen oder die Passagiere mit unzähligen Bussen nach Bratislava geführt - und wir erreichen das, was wir beide nicht wollen: eine Steigerung der Emissionen.

Leth: Alle Länder in unserer Umgebung haben diese Pariser Klimaschutzvereinbarung unterzeichnet. Deswegen wird ein Umlenken gar nicht so einfach sein. Fakt ist, dass sich laut Weltklimarat die CO2-Emissionen vervierfacht haben und sich weiter vervielfachen werden. 1974 lag der jährliche Kerosinverbrauch pro Jahr bei 100 Millionen Tonnen. 2050 werden es 770 Millionen Tonnen sein. Wo ist da bitte eine Reduktion?

Der Verbrauch pro Person wurde in den vergangenen 20 Jahren um 42 Prozent reduziert.Leth: Ja, aber die geflogene Kilometerzahl hat sich verfünffacht. Wenn ich also etwas halbiere und mit fünf multipliziere, komme ich auf keine Verringerung.

Biach: Sie wissen aber schon, dass es mittlerweile gesetzliche Verpflichtungen gibt, die zum Beispiel den ganzen Emissionshandel der EU im CO2-Bereich im Luftverkehr bis 2020 gedeckelt hat, wonach nicht mehr als 95 Prozent der jährlichen Emissionen der Jahre 2004 und 2006 erreicht werden dürfen. Ich bin ja dafür, dass man jene in die Pflicht nimmt, die das alles verursachen - aber wir reden hier bitte vom Bau einer dritten Piste.

... die laut Frau Leth für mehr Flugverkehr und damit mehr CO2-
Ausstoß sorgen wird.Biach: Wenn Sie die Wirtschaft wachsen lassen, dann ermöglichen Sie auch Innovation und technologische Weiterentwicklung. Wenn Sie aber Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze verhindern - und das tun Sie, wenn sie die dritte Piste verhindern wollen -, dann stoppt oder verzögert die technologische Evolution. Das gilt auch für die Verringerung der Emissionen. Umweltschutz funktioniert nur dort, wo Wohlstand und Wirtschaftswachstum sind.

Leth: Die Expansion des Flugverkehrs dient ausschließlich dazu, Ihre eigenen Emissionen zu verringern? Das ist ja eine lustige Informationsstrategie.

Biach: Ich glaube, dass das eine auf Polemik reduzierte Aussage ist. Und ich glaube auch, dass Sie das wissen. Ich habe mich sehr lange mit Infrastruktur beschäftigt. Und ich weiß, dass es ganz, ganz wichtig ist, Infrastruktur umweltfreundlich zu nutzen und auszubauen. Und das ist mein Bekenntnis dazu: Mir wäre am liebsten, wir würden hier alle mit Elektroautos herumfahren. Aber wenn sie den Flughafen abbinden, dann ist die Drehkreuzfunktion verloren, dann werden unzählige Firmen in andere Länder auswandern und sie haben zehntausende Arbeitsplätze vernichtet, auch die Einnahmen aus dem Steuerbereich fallen weg.

Leth: Es ist relativ sinnlos, dass wir beide ein Gespräch über Wirtschaft führen. So wie Sie sich mit Wirtschaft befasst haben, so habe ich mich sehr lange mit Gesundheit befasst. Diese beiden Themen prallen aufeinander - das passt nicht.

Aber das ist ja gerade das Spannende daran ...Biach: Ich will Ihnen ja nur Folgendes zeigen: Würde man die Wirtschaft sich entwickeln lassen - mit entsprechend strengen Auflagen -, dann könnten auch die Gesundheitsziele erreicht werden.

Leth: Und wie sollen diese Auflagen aussehen?

Biach: Man muss nur darauf schauen, dass sich die Emissionen entsprechend den Auflagen entwickeln, die vorgesehenen Deckelungen eingehalten werden.

Frau Dr. Leth, was wäre Ihre Lösung, um den CO2-Ausstoß des Flugverkehrs zu verringern?Leth: Dass man das, was nicht unbedingt geflogen werden muss, auf die Bahn umgelenkt wird und dass man den Klimaschutz ernst nimmt zum Beispiel.

Was wären das für Flüge?Leth: Zum Beispiel alle innereuropäischen Flüge.

Wenn ich ein Geschäftsmann bin und dringend zu einem Meeting nach Amsterdam muss, soll ich stundenlang in einem Zug sitzen?Leth: Früher sind Ärzte regelmäßig zu Kongresse geflogen, das ist heute nicht mehr so. Es gibt vieles, das man über Videokonferenzen abwickeln kann. Es geht um ein Umdenken.

Da müsste aber auf blitzartig die Haltung einer ganzen Gesellschaft verändert werden.Leth: Die Gesellschaft wird es müssen. Und es sollte schneller gehen, denn wir rasen auf einen Abgrund zu, wo die Welt in weiten Teilen nicht mehr bewohnbar sein wird - zumindest in dem Ausmaß, in dem wir es gewöhnt sind.

Wie wollen Sie das machen?Leth: Ich glaube, dass es möglich ist, über Werbung, über die gezielte Lenkung von Bedürfnissen viele Dinge zu erreichen. Wenn man jedem einredet, dass er sich ins Flugzeug setzen und um 20 Euro irgendwo hinfliegen soll, wenn ihm fad ist oder wenn er hip sein will, dann erzeugt man dieses Bedürfnis. Es könnte aber auf diesem Wege genauso vermittelt werden, wie eng die Ressourcenlage ist, wie sorgsam wir mit diesem Planeten umgehen müssen, dass auch junge Leute kapieren, dass nicht alles endlos vorhanden ist. Man sieht ja bereits jetzt, was sich an Klimaflüchtlingen aufbaut, welche Mengen an Menschen ihre Länder verlassen werden, weil sie nicht mehr dort leben können. Dafür muss man ein kollektives Bewusstsein erzeugen.

Was würde der Verzicht auf die dritte Piste an dieser Problematik ändern?Leth: Dass man sich vielleicht mit anderen europäischen Städten zusammensetzt, um unser Transport- und Logistikproblem gemeinsam zu lösen, um unsere Klimaziele zu erreichen.

Biach: Die Klimaschutzziele müssen eingehalten werden, keine Frage. Aber ich bin nicht dafür, dass man die Menschen in ihrer Freiheit einschränkt und ihnen ständig vorgibt, wie sie sich bewegen sollen. Ich denke aber auch, dass man sie motivieren sollte, sich umweltfreundlich fortzubewegen.

Das hat Frau Dr. Leth auch gerade gesagt.Biach: Deswegen glaube ich, dass wir durchaus gemeinsame Ziele haben. Der Zugang ist nur ein anderer.