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Cholesterin ist, stark vereinfacht ausgedrückt, das Schmieröl, das den Motor in Betrieb hält. Es wird von der Leber produziert und ist in allen Körperzellen vorhanden, weil es vielfältige biosynthetische Funktionen - vor allem in der Gallensäure-, Hormon- und Vitamin-D-Produktion - hat. Grundsätzlich ist an ihm ebenso wenig Schlechtes wie am menschlichen Gehirn, das notabene aus den gleichen guten Gründen zu 70 Prozent aus Fettmasse besteht. Seit dies erkannt wurde, unterscheiden die Fachleute zwischen "gutem" HDL-Cholesterin, da es Cholesterin aus dem Körpergewebe zurück in die Leber transportiert, und dem "bösen" LDL-Cholesterin, das angeblich maßgeblich zur Entstehung von Atherosklerose beiträgt. Und weil der Körper es eh von sich aus produziert, so die Vertreter der Anti-Fett-Bewegung, braucht man es ihm nicht auch noch mit der Nahrung (Fleisch, Eier, Milchprodukte usw.) zuzuführen.
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Allerdings fehlen bis heute gesicherte Daten zur Frage, wie groß die Rolle der Ernährung bei der Cholesterinproduktion tatsächlich ist. Und selbst Prim. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Hoppichler (KH Barmherzige Brüder, Salzburg) meinte vergangenen Mittwoch im Rahmen des Lipidforum Austriacum, dass sich ein erhöhter Cholesterinspiegel durch die Ernährung allenfalls bis zu maximal 15 Prozent senken lasse. Und plädiert in solchen Fällen ebenso wie mehrere seiner Kollegen für entsprechende Medikamente. Wobei hier nur am Rande erwähnt sei, dass in den Presseunterlagen des Lipidforums explizit auf das Pfizer-Medikament Atorvastatin (Sortis®) verwiesen wurde.
In der Tat erwies sich der Einfluss der Ernährung bis heute als äußerst unbefriedigender Forschungsgegenstand, schon weil er so offensichtlich von Individuum zu Individuum stark differiert, wobei noch nicht einmal die bekannten, aber nur vereinzelt dokumentierten Beispiele von steinalten gesunden Bauern mit einem lebenslangen Konsum von 30 oder mehr Hühnereiern pro Tag bemüht werden müssen.
Die US-Anti-Fett-Bewegung erlebte ihren herbsten Schlag durch die 1999 publizierte "Lyon Diet Heart Study", die von Michel de Lorgeril vom französischen Nationalinstitut für Gesundheit und medizinische Forschung geleitet wurde. 605 Infarktpatienten waren dafür in zwei Gruppen geteilt worden. In beiden Gruppen erhielten die Probanden Cholesterin-senkende Mittel, die einen aber zusätzlich eine "vernünftige Diät", wie sie den Richtlinien der Amerikanischen Herzgesellschaft (AHA) entsprach, die anderen hingegen die berühmt gewordene "Mittelmeer-Diät" mit mehr Brot, Getreideprodukten, Hülsenfrüchten, Obst, Gemüsen, Fisch und wenig Fleisch.
Cholesterin unverändert
In den darauf folgenden vier Jahren starben in der Gruppe mit der "mediterranen Ernährung" 14 Teilnehmer an Herzattaken, in jener mit der "westlichen Diät" hingegen 44. Allerdings: Auf die Cholesterinwerte, gleich ob HDL oder LDL, hatte die so erfolgreiche "Mittelmeer-Diät" aber keinerlei Einfluss, wie de Lorgeril und seine Kollegen dazu festhielten, die den Herzschutzeffekt vor allem auf die darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren, Vitamine, Antioxidantien und Flavonoide zurückführen.
Ähnliche Ergebnisse wurden mittlerweile durch weitere Studien belegt. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass die Cholesterin-Panik in den USA derart überschwappen konnte?
Gary Taubes nennt dazu in seinem "Science"-Artikel "The Soft Science of Dietary Fat" mehrere potentielle Ursachen. Eine davon sei nach dem Zweiten Weltkrieg etwas gewesen, das Jules Hirsch von der Rockefeller University in New York City als "Epidemie an Herzkrankheiten" bezeichnet. In der Tat vermerkte die AHA-Statistik einen dramatischen Anstieg der Fälle von tödlichen Koronarerkankungen innerhalb nur eines Jahres, nämlich von 1948 auf 1949, "um 20 Prozent bei weißen Männern und sogar 35 Prozent bei weißen Frauen".
Fatale Statistik
Nun hatte es zwar tatsächlich einen Anstieg chronischer Erkrankungen wie etwa auch der Herzleiden gegeben - paradoxer Weise bedingt durch die verbesserte Gesundheitssituation infolge Impfungen, medizinischer Versorgung, ausreichender Ernährung und Hygiene, die dazu führte, dass die Menschen älter als zuvor wurden, aber eben um den Preis solcher chronischen Leiden -, doch ein derart dramatischer Anstieg stand eher im Widerspruch zu sonstigen Daten und hätte daher in anderer Weise zu Denken geben müssen.
Des Rätsels einfache Lösung: Damals wurde auch die offizielle Terminologie der Todesursachen - bedingt durch neue diagostische Verfahren - dahingehend geändert, dass eine neue Kategorie "atherosklerotische Herzerkrankungen" zum generellen Begriff "Herzerkrankungen" hinzu kam. Doch die Ärzte dürften diese Unterscheidung allmählich leid gewesen sein und sie schrieben wieder die obsolete Bezeichnung in die Totenscheine. Fazit: "Es gibt absolut keinen Beweis dafür, dass es je eine Epidemie gegeben hat", so Harry Rosenberg vom National Center for Health Statistics heute.
Politiker wie vor allem der vormalige Senator George McGovern sahen indessen einen dringenden Handlungsbedarf gegeben, aus welchen Gründen auch immer. Sie initiierten jene Großprojekte, die Basis der Anti-Fett-Bewegung werden sollten - und hinterließen eine Vielzahl frustrierter, in die ursprüngliche Grundlagenforschung eingebundene US-Wissenschafter wie etwa Marc Hegsted (Harvard School of Public Health), die im Lauf der Zeit erkennen mussten, welchen Einfluss die Industrie auf ihre Tätigkeit nahm und von dieser zu profitieren lernte.
Neue Forschung
Zur Erkenntnis der Entstehung von Atherosklerose braucht es also neue Forschungsansätze. Insofern ließ jüngst die sogenannte Bruneck-Studie aufhorchen, die OA Dr. Stefan Kiechl von der Univ.-Klinik für Neurologie Innsbruck in "Circulation" publizierte. Demnach hat sich der Verdacht, dass chronische Infektionen wie etwa Bronchitis, Pankreatitis, Parodontitis, aber auch der Harnwege, der Haut und andere das Atherosklerose-Risiko erhöhen, durch Untersuchungen an 826 Personen bestätigt.
Das Ergebnis war so deutlich, dass die Autoren festhielten: "Damit erwiesen sich chronische Infekte als einer der wichtigsten Risikoprädiktoren für Atherosklerose in der Frühphase, auch bei Patienten ohne zusätzliche Risikofaktoren."