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Eine funktionierende Gesprächsbasis kann man nicht per Dekret verordnen

Von Brigitte Pechar

Analysen

Wenn sich zwei streiten, freut sich üblicherweise der Dritte. Nicht so bei einer Scheidung. Welches Kind will schon, dass sich seine Eltern trennen? Für die meisten Kinder ist das eine schreckliche Vorstellung, dennoch wird diese für etwa 20.000 Buben und Mädchen jedes Jahr Realität. In den Schulklassen der Sekundarstufe in Wien sind Kinder von Eltern in aufrechter Ehe bereits die Minderheit. Dennoch hat die Gesellschaft noch keinen Weg gefunden, den Kindern beide Elternteile auch nach einer Trennung zu erhalten.


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Rund die Hälfte der Väter hat zwei Jahre nach einer Trennung keinen oder nur noch geringen Kontakt zu ihrem Kind. Es ist daher ein hehres Anliegen von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, den Kindern die Fürsorge beider Eltern auch nach einer Scheidung sicherstellen zu wollen. Zumal 90 Prozent der Scheidungen im Einvernehmen erfolgen und etwa 50 Prozent der Paare sich für eine gemeinsame Obsorge für ihre Kinder entscheiden.

Was aber ist mit den anderen 50 Prozent? Darunter befinden sich sehr viele Ex-Partner, die sich zwar gegen eine gemeinsame Obsorge ausgesprochen haben, aber wichtige Entscheidungen für ihre Kinder - etwa die Schulwahl oder Auslandsaufenthalte - auch weiterhin gemeinsam fällen. Das beweist nur, dass es dort, wo sich die Ex-Partner eine Gesprächsebene bewahren konnten, auch ohne Gerichtsentscheid möglich ist, gemeinsam Verantwortung für die Kinder zu tragen.

Kritisch wird es, wenn Geschiedene in permanentem Streit liegen, kein Wort mehr miteinander wechseln wollen oder können. Wie sollen sich Menschen, die einander hassen, über elementare Dinge einigen? Und das auch noch verordnet, wie die Justizministerin sich das wünscht. Darf ein Partner, der die gemeinsame Obsorge hat, das Kind bei einem Wechsel ins Ausland mitnehmen? Die Frau meldet das Kind an einer Schule an, der Mann an einer anderen - am Ende sieht man sich wieder vor Gericht.

Ein weiterer Punkt spricht gegen einen Automatismus in jedem Fall: Wenn Männer ihre Vaterrolle in aufrechter Beziehung nicht übernehmen - den Alltag mit Kindern leben, Pflegeurlaub nehmen -, warum sollte diese dann nach einer Trennung plötzlich in eine solche wachsen? Die Obsorge für und die Beziehung zum Kind bekommt man nicht vom Gericht verordnet, die muss man sich erarbeiten.

Dennoch: Zum Wohl des Kindes sollte der Kontakt zu beiden Elternteilen möglichst intakt bleiben. Der Weg dorthin führt nicht über Dekrete, sondern über Gespräche. Mediation muss daher all solchen Entscheidungen vorausgehen. Wenn es dabei zu keinerlei Annäherung der Eltern kommt, ist es wohl besser, wenn die Entscheidungsgewalt vorerst einmal bei einem Partner liegt. Wenn die Kinder 14 Jahre alt sind, haben sie ohnehin ein Mitspracherecht.

Siehe auch:Das Problem mit der Obsorge