EM-Erfinder Michel Platini hat sich seine Ausladung auch selbst zuzuschreiben.
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Vor neun Jahren, im Juli 2012, hatte der damalige Uefa-Präsident Michel Platini die Idee geboren, die Fußball-Europameisterschaft 2020 anlässlich ihres 60-jährigen Bestehens paneuropäisch, also aufgeteilt auf mehrere Spielorte in ganz Europa, zu gestalten. "Wie wäre es, wenn wir die EM 2020 nicht in einem Land oder zwei Ländern veranstalten - sondern in ganz Europa?", fragte er am Rande der EM in der Ukraine in Kiew in den Saal und erntete ungläubiges Staunen. Hatte der Franzose, der wenige Minuten zuvor freimütig zugegeben hatte, in Beanspruchung der bekannten ukrainischen Gastfreundschaft "zu viel Wodka getrunken" zu haben, am Ende einen Schwips?
Tatsächlich meinte es Platini aber ernst, noch im Dezember 2012 wurde die Jubiläums-EM von der Uefa beschlossen. So originell dieser Einfall auch war und ist, in die Geschichtsbücher eingehen wird diese EM dennoch eher als Pandemie- denn als Paneuropa-Event. Denn von einem fröhlichen Geburtstagsfest, wie man das sonst beim 60er gewohnt ist, ist in diesen Tagen (noch) wenig zu spüren. Es regieren, Impfung hin oder her, nach wie vor Angst und Unsicherheit: Während die Fans lediglich mit Registrierung, Abstand und Maske auf die Ränge dürfen, zittern indes die Fußballer vor jedem Corona-Test - mit ungewissen Folgen, wie zuletzt die positive Probe von Spaniens Mannschaftskapitän Sergio Busquets gezeigt hat.
Aber auch abseits der Stadien ist Corona das alles dominierende Thema. So scheint die sonst bei Großereignissen - wie etwa bei der EM 2016 in Frankreich - so virulente Terrorgefahr dieses Mal nicht zu existieren. Ebenso ist kaum ein kritisches Wort über autoritäre EM-Gastländer wie Aserbaidschan oder Russland, das erst in diesen Tagen die einzige ernst zu nehmende Opposition im Land ganz ausgeschaltet hat, zu vernehmen. Der Tenor, auf den sich alle verständigt haben, lautet offenbar: Das Virus ist schon Spielverderber genug, sollen doch alle froh sein, dass die EM überhaupt stattfindet.
Das kann man vermutlich so sehen, muss man aber nicht. Was hindern die Uefa, die EU und die Regierungen Europas daran, gerade bei dieser Jubiläums-Europameisterschaft genauer hinzuschauen und zu handeln? Was in China, Katar oder Kasachstan schwieriger ist, wäre in Europa wohl ein Leichtes. Und dass man reagieren kann, wenn man will, hat nicht zuletzt das Beispiel Weißrussland, dem sogar die Eishockey-WM entzogen wurde, gezeigt. Denn eines ist klar: Eine Sportveranstaltung, vor allem wenn sie wie die Fußball-EM zu den größten drei der Welt zählt, kann nie unpolitisch sein.
Die beste Bestätigung für diese Annahme - und da kommt wieder Platini ins Spiel - sind die Uefa und vor allem die Fifa, die in ihrer Eigenschaft als mächtige und nicht immer ganz transparente Männervereine für viele all das verkörpern, was die Menschen sonst an ihren eigenen Politikern oft ablehnen. So großartig Platinis Entwurf einer Paneuropa-EM auch war, den Schönheitsfehler, dass er nun bei "seinem" Turnier als Persona non grata behandelt und daher nicht dabei sein wird, hat er mit Blick auf seine (wenn auch getilgte) Korruptionsstrafe in seiner Funktion als Vize-Fifa-Chef schon auch sich selbst zuzuschreiben. Wirklich abgehen wird der gute Platini aber kaum jemanden. Auch wenn er das so wohl nicht verdient hat.