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Eine Großbaustelle namens Italien

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meinigen

Politik

Auf den neuen starken Mann Matteo Renzi wartet eine Herkulesaufgabe.


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Rom. Matteo Renzi legte am Freitag noch einmal seine Trikoloren-Schärpe als Bürgermeister von Florenz um. Am Valentinstag feierte er in der toskanischen Hauptstadt die Goldene Hochzeit einiger älterer Ehepaare. Währenddessen begab sich Enrico Letta in Rom zum Sitz des Staatspräsidenten auf dem Quirinalshügel und reichte seinen Rücktritt als Ministerpräsident ein. Dieser sei "unwiderruflich", wie aus dem Amtssitz von Staatspräsident Giorgio Napolitano verlautete. Damit ersparen sich die Protagonisten eine Abstimmung im Parlament. Es soll nun schnell gehen mit der Bildung der 63. italienischen Nachkriegsregierung unter Führung von Lettas Kontrahenten Renzi.

Bereits am Freitagnachmittag begann Napolitano mit den Konsultationen und empfing die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern. Bis Samstagabend sollen dann die im Parlament vertretenen Parteien beim Staatspräsidenten vorgesprochen haben. Dabei gilt es in Rom als ausgemacht, dass die neue Regierung unter Führung des Sekretärs der Demokratischen Partei (PD) von derselben Mehrheit getragen wird wie die Vorgängerregierung unter Letta. Damit würden neben der PD auch die kleineren Mitte-Rechts-Parteien Renzi in einer Abstimmung Anfang kommender Woche das Vertrauen aussprechen. Renzi benötigt vor allem die Stimmen der Neuen rechten Mitte um Innenminister Angelino Alfano, die sich im November von Berlusconi abgespalten hatte. Außerdem will sich auch die Bürgerwahl (SC) von Ex-Premier Mario Monti an der neuen Regierung beteiligen.

Aufbruch am Arbeitsmarkt

Staatspräsident Napolitano, der das Parlament auflösen kann, hatte Neuwahlen zuvor ausgeschlossen. Sollte Renzi kommende Woche als Ministerpräsident vereidigt werden, hätte Italien nicht nur den vierten Premier in vier Jahren, sondern auch den dritten nicht vom Volk gewählten Ministerpräsidenten in Folge. Am Freitag hatte der in der Bevölkerung beliebte PD-Chef Renzi seinen Parteifreund Letta aus dem Amt gedrängt. Ein Führungsgremium der Partei hatte sich mit großer Mehrheit hinter Renzi gestellt, als der den Beginn einer "neuen Phase" und eine neue Regierung forderte. Als Begründung für den Wechsel hatte Renzi angeführt, Letta habe in seiner zehnmonatigen Amtszeit keine wesentlichen Ergebnisse vorzuweisen.

Nun soll Renzi die drängenden Reformen voran bringen. Das italienische Statistikamt Istat teilte am Freitag mit, das Bruttoinlandsprodukt sei im vierten Quartal 2013 um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gestiegen. Erstmals seit Mitte 2011 sei die italienische Wirtschaft zum Jahresende 2013 wieder gewachsen. Damit verbinden sich in Rom Hoffnungen, Italien könnte bald die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg hinter sich lassen. Vor allem die Wirtschaftspolitik wird zum Gradmesser für Renzi werden. Ihm und seiner Regierung muss in erster Linie die Umkehr der negativen Tendenz gelingen. Italien hat in den vergangenen sechs Jahren zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung und ein Viertel seiner gesamten Industrieproduktion verloren.

Damit die italienische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig wird, muss die neue Regierung nicht nur die Steuerlast senken, sondern vor allem im Bereich des Arbeitsmarktes aktiv werden. Renzi sprach in den vergangenen Wochen bereits von einem "Jobs Act" nach US-amerikanischem Vorbild. Damit sollen Beschäftigung und Neueinstellungen mit verschiedenen Maßnahmen gefördert werden. Besonders unter Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit in Italien mit mehr als 41 Prozent extrem hoch. Die Unternehmenssteuer soll für diejenigen Firmen gesenkt werden, die neue Arbeitsplätze schaffen. Kleinere Firmen sollen entlastet werden, indem ihnen ein Teil der Energiekosten abgenommen wird.

In seinem "Jobs Act" plant Renzi auch, die bisherigen Vertragsmodelle zu vereinfachen. Von bisher 40 Formen sollen am Ende nur einige wenige übrig bleiben. Diskutieren werden die an der künftigen Regierung beteiligten Parteien auch über die Lockerung des bisher strengen Kündigungsschutzes. Geht es nach dem neuen starken Mann in Italien, sollen die Rechte der Arbeitnehmer erst mit wachsender Vertragdauer zunehmen. So soll die bisher in den dauerhaften Arbeitsverträgen vorhandene Garantie "gegen ungerechtfertige Entlassungen" erst nach drei Jahren gelten. Die geplante Flexibilisierung soll nicht nur Arbeitgebern die Möglichkeit geben, sich von ungeeigneten Mitarbeitern zu trennen, sondern auch den zahllosen jungen Italienern, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen feststecken, eine Perspektive auf eine Festanstellung ermöglichen. Dass er damit auf massiven Widerstand der Gewerkschaften stoßen wird, ist Renzi mehr als bewusst. Bereits vor Wochen forderte er von den Arbeitnehmerverbänden, auch sie müssten sich verändern.

Wahlrecht am Prüfstand

Wie die Ausgaben zur Förderung der Beschäftigung gedeckt werden, darüber muss die Regierungskoalition verhandeln. Italien wird laut Istat von derzeit 2067 Milliarden Euro Schulden gedrückt, die über 130 Prozent des BIP ausmachen. Renzi hatte in den vergangenen Wochen bereits angekündigt, im Fall der Machtübernahme in Rom die Maastrichtkriterien zur Neuverschuldung in Brüssel neu verhandeln zu wollen. Bislang gilt die Regel einer maximalen Neuverschuldung von drei Prozent des BIP. In Italien ist es angesichts der schlechten Konjunktur Konsens geworden, dass der Staat mehr Geld ausgeben muss, um den Konsum und die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Aber auch Liberalisierungen und Privatisierungen steht Renzi offen gegenüber. Als Ministerpräsident geht es für Renzi nun auch darum, die bereits in die Wege geleitete Verfassungsreform zu verabschieden. Mit Silvio Berlusconi als Führer der größten Oppositionspartei hatte sich Renzi vor Wochen bereits auf die Änderung des Wahlgesetzes sowie die Umwandlung der zweiten Parlamentskammer geeinigt. Diese Reform soll den trägen politischen Prozess in Rom beschleunigen und etwa eine Milliarde Kosten sparen.

Ein anderer Schwerpunkt der Regierungsarbeit dürfte die Bekämpfung der überbordenden italienischen Bürokratie werden. Bislang sind Zentralstaat, Regionen, Provinzen und Gemeinden gemeinsam für verschiedene Aufgaben verantwortlich. Die neue Regierung muss diese Zuständigkeiten vereinfachen. Renzi kündigte in der Vergangenheit an, auch die Steuererhebung vereinfachen zu wollen. "Eine SMS an den Bürger könnte reichen, um Steuern einzufordern, doch die Bürokratie schreibt Millionen von Briefen, manchmal nur, weil sich jemand um 22 Euro verrechnet hat", sagte er in einem Interview. Auch die Beschleunigung der langsam italienischen Justiz könnte auf der Agenda der neuen Regierung stehen. Unwahrscheinlich ist hingegen, dass die Koalition auch bei den Themen Homo-Ehe oder Staatsbürgerschaft Kompromisse wagt. Bei diesen Themen liegen die Positionen der Beteiligten weit auseinander.