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Einige Stunden noch, dann hat Alexander Van der Bellen seine bisher schwerste Prüfung überstanden. Der Bundespräsident musste eine Regierungsbildung choreografieren, deren Angelobung ein Gutteil jener Wähler verhindern wollte, die den ehemaligen Bundessprecher der Grünen vor einem Jahr mit deutlicher Mehrheit ins Amt hievten. Dass Van der Bellen dieser Spagat weitgehend unfallfrei gelungen ist, ohne dabei seine politische wie persönliche Glaubwürdigkeit zu verlieren, ist eine gute Nachricht für die gesamte Republik.
Tatsächlich hat nämlich sowohl das Wahlergebnis vom 4. Dezember 2016 als auch jenes vom
15. Oktober nach wie vor politische Gültigkeit; die Mehrheit für Van der Bellen bei der Persönlichkeitswahl für das Amt des Staatsoberhaupts muss deshalb ergänzend, nicht widersprechend, zur deutlichen Mehrheit von ÖVP und FPÖ im Nationalrat gedacht werden. Es ist die Aufgabe der betroffenen Politiker, beide Willensbekundungen des Volkes zusammenzuführen.
Dieser Balanceakt ist gelungen, jedenfalls bis hierher. Der Bundespräsident hat seine roten Linien deutlich gemacht, jedoch diskret und ohne billige, aber höchst kurzsichtige Punkte bei seinen eifrigsten Anhängern zu sammeln, indem er etwa die Koalitionsverhandler brüskierte.
Dass ÖVP und FPÖ die positiven Signale des Bundespräsidenten aufgenommen und erwidert haben, lässt darauf hoffen, dass beide Seiten des Ballhausesplatzes, der Neue im Kanzleramt und der Hausherr in der Hofburg, ein Gespür für die politische Feinmechanik entwickelt haben, die von der geschriebenen wie der real existierenden Verfassung der Republik angetrieben wird. Und dass diese auch vorsieht, dass ein Herz des politischen Betriebs im Parlament schlägt, ist ebenfalls allen Beteiligten klar.
Inmitten all der Unsicherheit im Kleinen wie Großen könnte es schlechtere Nachrichten für die unmittelbare Zukunft geben. Der Bundespräsident hat klargestellt, was für alle politischen Kräfte in diesem Land außer Streit stehen muss: Die Einhaltung der demokratischen Grundregeln, welche auch die Gewaltenteilung miteinschließt, sowie die europäische Ausrichtung des Landes. Von hier weg ist jede Regierung ihres eigenen Glückes Schmied. Und dass es zum erfolgreichen Regieren mehr braucht als nur eine Mehrheit im Nationalrat, wird jeder schnell merken, der es vorher nicht glauben wollte.